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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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Fernsehtisch zum Stapel mit den alten Zeitungen, der regelmäßig mit Kordel verschnürt und für die Altpapiersammlung der Fußballjunioren gespendet wurde.
    Vatanescu fuhr durch Straßen, die er nicht kannte, mit einem Mann, den er nicht kannte. Die Sonne schien durch das Sieb der schmutzigen Windschutzscheibe, weshalb die Ampellichter schwer zu erkennen waren, und weil er sich darauf konzentrierte, vergaß Vatanescu, auf alles andere zu achten.
    Plötzlich hoppelte ein Hase auf die Straße.
    »Gib Gas! Überfahr ihn! Mach ihn platt!«, rief Jegor.
    Vatanescu wich aus, der Hase sprang davon, und zurück blieb nur Jegor Kugars unauflösliche Wut darüber, dass sich jemand seinem Befehl widersetzt hatte.
    Was lebt, das überfährt man nicht, dem hilft man auf die Sprünge.
    An der Kreuzung vor dem Kunstmuseum und dem Gebäude mit den wurstartigen Rampen beförderte Jegor Vatanescu mit einem Tritt aus dem Auto und warf ein Stück Pappe, einen Kaffeebecher und ein schnelles Briefing für die künftige Tätigkeit hinterher.
    Krankfeiern gab es nicht, Urlaubsgeld und Rentenbeiträge konnte man vergessen – Jegor glaubte an das amerikanische System, das hieß, dass Vatanescu von nun an auf sich selbst gestellt war. Während der ganzen Schicht den Blick senken, mit der Haltung und dem Gesichtsausdruck eines geprügelten Hundes. Ein Lächeln auf dem Gesicht raubt einem Bettler die Glaubwürdigkeit und schlägt sich in schwächelndem Cashflow nieder. Wecke Mitleid und Schuldgefühle, dann erntest du Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist Geld, speziell bei Protestanten und verhätschelten Sozialdemokraten ist Barmherzigkeit das dickste Ding. In den nordischen Ländern liegt die Mitleidsschwelle der Menschen tief, darum empfinden sie die Münzen in der Tasche als Last.
    »Wir helfen ihnen, sich von ihrer Last zu befreien«, erklärte Jegor. »Der Spender kriegt ein gutes Gefühl. Ich fünfundsiebzig Prozent, du fünfundzwanzig.«
    Auf dem Stück Pappe stand etwas über die elenden Lebensumstände des Bettlers, von armen Kindern, tiefem Glauben und nicht zu hoch gesteckten Ambitionen. Jegor erklärte, Geschichten seien unbedingt notwendig, mit Geschichten hauche man leb- und geschichtslosen Verkaufsartikeln Leben ein. Geschichten bringen dem Kunden, Käufer oder Spender die Ware näher.
    »Lächeln ist für den Arsch und gehört nicht ins Gesicht.«

    Schon nach kürzester Zeit tat Vatanescu alles weh, es fiel ihm schwer, den Rücken gerade zu halten. Die Zeit lief immer langsamer, Minuten wurden zu Stunden, und die Stunden hatten das Ausmaß einer ganzen Generation. Hin und wieder fiel eine Münze in den Pappbecher. Dann wollte Vatanescu lächeln und sich bedanken, aber entscheidend waren ja Ausdruckslosigkeit, Traurigkeit und Ängstlichkeit. Am besten wäre es, dachte er, auf rührende Weise hässlich auszusehen.
    Als der Abend kam und die Dämmerung einsetzte, fing Vatanescu zu nicken an, ließ den Kopf bald auf die Brust fallen, schlingerte eine Zeitlang zwischen Schlaf und Wachzustand und versank schließlich schnarchend in einer REM -Phase. Da sah er Bilder von Dingen, von denen er selbst nicht wusste, wo sie herkamen. Brennholzhacken, Baumstammflößen, Brückenbauen, eine Busladung Leute auf dem Weg zum Massenselbstmord. Entschlossene Männer des Nordens, für die nichts unmöglich war; man musste nur beharrlich, findig und unnachgiebig sein. Der seltsame Traum endete mit einem Rüffel Jegors und der Mitteilung, Vatanescu habe gerade seine Essenspause verschlafen.

    An seinem ersten offiziellen Arbeitstag als rumänischer Bettler verdiente Vatanescu fünf Euro und achtzig Cent, ein Spielzeugauto und vier Zigarettenstummel. Als Zulage gab es eine Erkältung, Hunger und Gelenkversteifung. Er faltete das Pappschild zusammen und schob das Geld in die eine und den Bettelbecher in die andere Tasche. In der Innentasche seiner Jacke steckten Schicht-, Stadt- und Straßenbahnfahrplan, die er von Jegor bekommen hatte.
    Da der U-Bahn-Plan nur eine einzige gerade Linie zeigte, fand Vatanescu seine Dienstwohnung noch vor Mitternacht. Zugiges, offenes Gelände, Wohnwagen Nummer drei; dort, irgendwo im schläfrigen Mief, glühte in kurzen Abständen eine Zigarette auf. Vatanescu stellte seine Tasche und die letzten Konservendosen auf ein leeres Bett. Der Raucher sagte, er heiße Balthazar, aber da schlief Vatanescu schon.

Vatanescu schüttelte die letzten Tropfen seines Morgenurins auf den Kies und versuchte sich zu erinnern, wo er war

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