Bettler und Hase. Roman
beruflicher Sicht war die Frontalkarambolage der Bolschewiken sogar ein positiver Faktor, weil er die Marktlage verbesserte. Instabile Innenpolitik und Machtvakuum bieten jenen, die keine Rücksicht auf Verluste nehmen, blendende Chancen.
»Ich importierte für die Neureichen in meinem Land Mohnblüten von den Mullahs. Eine Aktentasche Opium, ein paar Aktentaschen Geld. Landwirtschaftssubvention auf meine Art. So kam ich schnell auf das Einkommensniveau meiner Kunden. Ich kaufte mir ein Telefon von Nokia, so groß wie eine Bierkiste, mit dem man allerdings nicht telefonieren konnte, weil es in unserer Gegend noch keine Sendemasten gab.«
Zunächst verkaufte Jegor sackweise Mohn, dann Opium, aber es dauerte nicht lange, bis er als Kind der Straße erkannte, dass sein Portemonnaie umso dicker wurde, je weiter er den Rohstoff veredelte. Bald konnte er sich von seinen Einkünften das kaufen, was sich jeder schlagartig reich gewordene Gauner auf der Welt zulegt: einen Protzgeländewagen. Um das zu verstehen, sollte die straßenbahnfahrende Bildungsbürgerschicht ruhig mal ausprobieren, was für ein Gefühl es ist, mit einem kugelsicheren, kleinwagenfressenden Hummer, der einem ganz allein gehört, im Schritttempo durch die Gegend zu gleiten.
Für die freien Tage brauchte Jegor eine Wohnung, weshalb er in einem ehemaligen Haus für Mitglieder der Partei eine Etage kaufte. Als sich die über ihm wohnenden Helden des Großen Vaterländischen Krieges über den Lärm beschwerten, kaufte Jegor auch diese Etage und setzte die Helden auf die Straße. Fortan feierte er in seinem Domizil ungestört mit Präsidenten, Sportstars und tütenhütigen Radikalbärten von der Kirche sein Ich sowie den Vorteil, bloß ein Stäubchen der Weltgeschichte zu sein. Party ohne Grenzen, so wie in Jegors Lieblingsbuch »The Dirt«, das den Alltag, also den ewigen Feiertag, der Band Mötley Crüe schildert. Es gab nämlich zwei Männer, die für Jegor über allen anderen standen: Vince Neil und Josef Stalin. Jegor beschreibt es so:
»Ich sag das jetzt mal ganz direkt, weil es wichtig ist, wenn man meinen Charakter verstehen und mich nicht bloß am Arsch haben will. Also: Was das Ficken betrifft, war ich ein Tier. Ich hatte sonst keine Methode, rauszulassen, was sich in mir anstaute, weil ich ständig auf Hundert-null-Stress war. Aber ficken ist ja wohl besser als killen, oder? Drogen habe ich überhaupt keine genommen, weil mir dann sofort die Lagerbuchhaltung und die Kontrolle über die Verkaufskette ins Trudeln gekommen wäre.
Irgendwelche Alternativen? Alkohol. Aber wenn du trinkst, raubt dir das für mehrere Tage die Power. Besser, man wird leer im Kopf, indem man bumst.
Zwei Wochen Business, danach zwei Wochen mit Miss Usbekistan in den eigenen vier Wänden. Es gibt auf der Welt Weiber aller Art, aller Rassen, Größen, Gerüche und Geschmäcker. Es gibt die Pam Andersons und die Miss Skandinaviens und die Miss Finnlands, aber es gibt auch die Alla Pugatschowas, welche, die auf Dope sind und nicht ganz dicht. Es gibt eher hässliche, aber entspannte übersexualisierte Prachtstücke. Es gibt Siebzehnjährige, die sich benehmen wie Dreißigjährige, und es gibt Siebenundvierzigjährige, die noch ihren vollen Wiederverkaufswert haben. Es gibt Torten, die größer und großartiger sind als die Summe ihrer Löcher. Es gibt aber auch welche, die nichts als Löcher sind und für die einer wie ich bloß Geld, Drogen und Beziehungen bedeutet – also bloß das Loch, durch das sie kriechen, um mit Eishockeyspielern aus der NHL Schnee schniefen zu können. Das Ganze war für beide Seiten das reine Vergnügen, bis es was Gezwungenes kriegte; dann ließ ich die Damen frei und bestellte mir neue. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieses Leben jemals aufhört.
Ich kann halt einfach nicht allein schlafen, ich muss jemanden neben mir haben, egal wen, solange der Body okay ist. Bei Frauen aus meinem Land ist das der Fall, aber in diesem Land hier lässt man die Weiber ins Berufsleben, da finden sie zu viele Vorwände, sich gehenzulassen und aufs Make-up zu verzichten.«
Jegor Kugar suchte nach größeren Herausforderungen, und so erweiterte er seinen Geschäftsbereich über Drogen hinaus auf Waffen. Der Markt dafür wurde ihm auf dem Silbertablett präsentiert: die feindliche Armee. Entscheidend war, dass der Konflikt andauerte, keine Friedensverhandlungen aufgenommen wurden, sich die Lage nicht normalisierte. Solange sich die feindlichen Truppen in
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