Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
saß auf seinem Bett, blickte auf ihn herunter, und er sah sich selbst in ihren Augen gespiegelt.
„Okay“, sagte er.
„Was okay?“, fragte sie.
„ Okay, ich werde Darth Maul tragen.“
„Und was noch?“
„Ich werde jetzt schlafen.“
„Ja. Aber was habe ich vorhin gesagt?“
Viktor überlegte. „Ich soll nicht mehr so viel Star Wars spielen?“
„Ja, das auch. Was noch?“
Viktor dachte nach. „Wenn man eine Entscheidung hat, dann soll man das machen und nicht ändern.“
„Richtig. Gute Nacht, mein Schatz.“ Sie küsste ihn auf beide Wangen, ihre Lippen drückten sich fest auf seine Haut, dann machte sie das Licht aus, verließ das Zimmer und schloss die Tür.
Viktor lag im Dunkeln und dachte über Darth Maul nach und über Chewbacca und entschied, dass Darth Maul vielleicht doch cooler war als der haarige Wookie e.
Kurz vor dem Einsc hlafen spürte er ihn wieder. Den kleinen, hässlichen dunklen Punkt. Die kleine schwarze Murmel. Er blinzelte ein paarmal mit dem linken Auge, kratzte sich am Kopf, rollte sich zusammen und schlief dann ein.
Draußen war es eine windige Nacht. Der Herbst näherte sich und Hedera Helix erlebte die Vorläufer der ersten Herbststürme. Die ersten Bäume bekamen goldene Blätter. Die ersten Vögel zogen am Himmel in Scharen weg. Die ersten Felder waren schon längst geerntet. Ein paar Blätter und ein Schokoladenpapier flogen im Wind an Viktors Fenster vorbei. Ein kleiner Vogel, der im Baum vor dem Fenster saß und sich mit zerzausten Federn, vom Wind durchgerüttelt, an einen Ast klammerte, flog auf und verschwand.
Sporangium
A m nächsten Tag lief Viktor leicht nach links geneigt; der kleine, hässliche dunkle Punkt verlagerte das Gleichgewicht seines Körpers, neigte seine Achse und verursachte eine Ekliptikschiefe. Viktor wusste nicht, was es war, woher es kam und was es bedeutete. Er spürte nur eine kleine, harte Murmel in seiner linken Kopfhälfte, die eine besondere Dichte ausstrahlte und mit ihrer Last – wie ein Gewicht auf einer Waage – eine der beiden Waagschalen nach unten drückte.
Er traf Gem auf dem Pausenhof und sie aßen ihr Mittagessen auf der kleinen Mauer neben dem Trinkbrunnen. Seit dem gestrigen Tag, seit den Vorkommnissen unter dem Kuheuter, war die Stimmung seltsam geworden zwischen ihnen. Hala, Gems kleine Schwester, ignorierte sie beziehungsweise warf ihnen nur böse Blicke zu, wenn sie an ihnen vorbeiging, und sprach kein einziges Wort mit ihnen. Die Sonne schien, die Kinder auf dem Schulhof lärmten, ab und zu flog ein Ball in ihre Richtung und sie mussten sich ducken und ihr Essen festhalten. Während der gesamten Pause sprachen sie kein Wort miteinander.
Danach, im Matheunterricht, starrte Viktor auf „64+5“ und wusste, dass die „6“ blieb und er nur „4+5“ ausrechnen musste, konnte aber die Aufgabe unmöglich lösen. Seine Gedanken waren nicht bei der „4+5“ mit der „6“ am Anfang, sondern kehrten immer zu Kennedy und ihren Kindern und dem gestrigen Tag zurück.
Am Tag vorher, nach der Schule, waren Viktor, Gem und Hala im Hinterhof des Ateliers und spielten Ball. Zuerst waren sie in Maricels Wohnung, aber da war es langweilig gewesen. Dann waren sie nebenan bei Viktor und dort war es zu warm. Dann gingen sie hinunter ins Atelier, wurden jedoch von Helena nach draußen geschmissen, weil Gem dem Schneider Malek den Ball an den Kopf warf, Viktor eine Kiste Perlen umstieß und Hala auf den Perlen ausrutschte und zu schreien anfing, als sie ihren Ellenbogen anschlug. Im Hof liefen sie auf dem Rasen herum, spielten erst „Flugzeug“, dann mit dem Plastikzoo, dann spielten sie ein wenig „Haus“ mit Hala und dann kickten sie den Ball einfach nur noch hin und her. Sie durften nicht raus auf die Straße, alle Spielzeuge waren langweilig, es gab nichts zu tun, alles war extrem langweilig und es war viel zu warm.
Kennedy lag in einem Karton neben dem Geräteschuppen und schaute ihnen schläfrig zu. Die weiße Katze hatte vor kurzem Kinder bekommen , und ihre Babys lagen an ihrem Bauch. Kennedy war die Nachbarschaftskatze, niemand wusste genau, wem sie gehörte, aber jeder fütterte sie und sie wählte immer ein anderes Haus in der Nachbarschaft als Brutplatz. Wie sie zum Namen „Kennedy“ gekommen war, ist unbekannt, wann sie erstmals in der Nachbarschaft auftauchte, wusste niemand, aber soweit jeder zurückdenken konnte: Kennedy war immer dagewesen, und Kennedy war fast immer entweder schwanger
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