Between Love and Forever
»Rühr dich nicht vom Fleck, hörst du?«
Ich will glauben, dass ihr Mund sich zu einem Lächeln kräuselt. Und dass sie mich hören kann. Ich nehme die »Sassy You«, auf die Mrs Johnson angeblich so wild ist, ungeöffnet von dem Stapel, den die Schwestern zum »Vorlesen« bereithalten – obwohl sie in Wahrheit nur herumstehen und den Schrott selber lesen –, und werfe sie in den Müll.
»Tut mir leid, dass Sie sich das hier anschauen mussten«, sage ich zu Mrs Johnson. »Aber wissen Sie was? Ich werde Tess aufwecken. Sie muss jetzt einfach aufwachen, verstehen Sie? Sonst ...« Meine Stimme versagt.
Sonst ist das hier Tess’ Zukunft. Ein langer, langsamer Abstieg. Ein Leben ohne Leben.
Und ich sitze für immer hier fest, denn wenn Tess nicht aufwacht, werden meine Eltern alles opfern, um sie am Leben zu erhalten, und am Ende ohne einen Cent dasitzen. Dann muss ich dableiben, um sie zu unterstützen, muss der Fels in der Brandung für sie sein. Mit anderenWorten, ich muss in Ferrisville versauern, so wie sie auch. Ein Leben ohne Leben, und das will ich nicht.
Ich weiß, das klingt egoistisch. So darf man als gute Tochter nicht denken. Tess würde nie so denken.
Aber ich bin nicht Tess. Und ich will mir das nicht mein Leben lang unter die Nase reiben lassen. Das wäre echt das Letzte.
Kapitel 8
Eli ist im Geschenkshop. Flirtet vermutlich mit einer Horde Mädchen, die ihn anhimmeln, oder bewundert sein Spiegelbild oder was auch immer. Tess hatte in dem Sommer, bevor sie ans College ging, einen Job in einem Bioladen in Milford, aber ich glaube nicht, dass sie dort viel zum Arbeiten gekommen ist, weil sie die ganze Zeit mit den Jungs beschäftigt war, die plötzlich alle auf Bioprodukte standen und den halben Tag bei ihr im Laden herumhingen.
Aber Eli redet mit niemand und bewundert sich auch nicht im Spiegel. Er sortiert einen Stapel Zeitschriften, hakt jedes einzelne Cover mit dem Finger ab und verzieht angewidert das Gesicht über die Schlagzeilen. Selbst wenn er Grimassen schneidet, sieht er noch göttlich aus.
Ich wundere mich selbst, dass ich kein Problem damit habe, ihn anzusprechen. Vielleicht weil ich zu oft miterlebt habe, wie Tess’ Verehrer vor ihr ins Stottern gekommen sind und kaum ein »Hi« herausgebracht haben, sodass ich in dieser Hinsicht ziemlich abgebrüht bin. Man muss nur selbstbewusst genug auftreten und so tun, als könnte der andere froh sein, dass man überhaupt mit ihm redet, dann glaubt er es auch. Außerdem mache ichdas hier für Tess und nicht für mich. Ich bringe die beiden nur zusammen.
»Die wird auch bald wieder obenauf sein«, sage ich zu Eli und zeige auf die magersüchtige Blonde auf der Zeitschrift, die er gerade in der Hand hält. »Spätestens bei ihrem sechsten Entzug macht es irgendwann klick und dann ist sie plötzlich ein anderer Mensch.«
»Was?« Der Typ schaut mich irritiert an. »Oh. Du bist das Mädchen, das ...«
»Die mit der schönen Schwester«, falle ich ihm ins Wort, weil ich genau weiß, was er sagen will. Das Gleiche wie alle. Immer. »Kann ich die hier haben?«
»Was? So was liest du?«
Nein, natürlich nicht. Ich müsste kotzen, wenn ich mir so einen Schrott reinziehen würde – verlogene Storys über irgendwelche reichen Tussis, die sich für Kinder in Not engagieren, Fotos von ausgehungerten Models, die in Kleidern posieren, die sowieso kein Mensch tragen kann – jedenfalls niemand, den ich kenne. Geschweige denn, dass ein Normalsterblicher sich so was je leisten könnte.
Aber ich sage nur: »Ja.«
Der Typ steht auf, um mir die Zeitschrift zu geben, so leichtfüßig und anmutig und schön mit seiner honigfarbenen dunklen Haut. Wenn ich ihn anschaue, komme ich mir noch kleiner, kurvenloser und unscheinbarer vor als sonst.
»Willst du die wirklich?«, fragt er. »Ich hab doch gesehen, was du für ein Gesicht gemacht hast, als ich siefür Mrs Johnson raufgebracht habe, und ehrlich gesagt siehst du auch nicht so aus, als ob ...«, er schaut auf das Cover, »... als wärst du der Typ, der sich für die neuesten Bräunungscremes interessiert ...«
Natürlich nicht. Ich sehe aus wie ich, und dass er mich so einfach abhakt, als ob ich überhaupt nicht zähle, gibt mir einen Stich. Aber ich ziehe die Schultern ein, krame Geld aus meiner Tasche hervor und knalle es auf die Theke.
Während er das Wechselgeld abzählt, studiere ich den Süßkram. Da hat jemand gründlich aufgeräumt – ich könnte schwören, dass die Schokoriegel nach Größe
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