Beute
weiter entfernte.
»Also, wo bringen sie sie hin?«, sagte ich wieder. Noch während ich sprach, schwenkte ich die Brille höher und sah sofort, wo sie sie hinbrachten.
Aus einiger Entfernung erweckte es den Anschein eines natürlichen Gebildes - ein dunkler Erdhügel, knapp fünf Meter breit und etwa zwei Meter hoch. Die Erosion hatte tiefe, vertikale Spalten in den Hügel geschnitten, sodass er ein wenig an ein riesiges, hochkant stehendes Zahnrad erinnerte. Er wirkte so natürlich, dass er leicht zu übersehen war.
Aber er war nicht natürlich. Und sein gemeißeltes Äußeres war nicht auf Erosion zurückzuführen. Im Gegenteil, was ich da vor mir hatte, war ein künstliches Gebilde, ähnlich den Nestern, die von afrikanischen Termiten oder anderen Insekten gebaut werden.
Mae hatte das zweite Nachtsichtgerät auf und beobachtete eine Weile schweigend, dann sagte sie: »Willst du mir jetzt erzählen, das da ist das Ergebnis von selbst organisiertem Verhalten? Das Verhalten, dieses Ding da zu bauen, ist von ganz allein entstanden?«
»Ja«, sagte ich. »Genau das ist passiert.«
»Kaum zu glauben.«
»Ich weiß.«
Mae war eine gute Biologin, aber sie war Primatenforscherin. Sie befasste sich mit kleinen Populationen hochintelligenter Tiere, die Dominanzhierarchien und Gruppenführer hatten. Ihrem Verständnis nach war komplexes Verhalten das Ergebnis von komplexer Intelligenz. Und sie konnte sich nur schwer vorstellen, wozu selbst organisiertes Verhalten innerhalb einer sehr großen Population von dummen Tieren fähig war.
Das war übrigens ein tief sitzendes menschliches Vorurteil: Menschen gingen davon aus, dass eine Gesellschaft eine zentrale Führung brauchte. Staaten hatten Regierungen. Unternehmen hatten ein Management. Schulen hatten Direktoren. Armeen hatten Generäle. Menschen glaubten gemeinhin, dass eine Gesellschaft ohne zentrale Führung im Chaos versinken würde und nichts Vernünftiges zu Stande brächte.
Davon ausgehend, war es nur schwer zu begreifen, dass extrem dumme Wesen mit einem Gehirn kleiner als ein Nadelkopf Bauprojekte verwirklichen konnten, die komplizierter waren als alles, was der Mensch je geschaffen hatte. Aber so war es.
Afrikanische Termiten waren da ein klassisches Beispiel. Diese Insekten bauten regelrechte Wohnburgen von dreißig Metern Durchmesser mit Türmen, die sechs Meter hoch in die Luft ragten. Um diese Leistung richtig zu würdigen, musste man sich nur vorstellen, dass diese Bauten, wenn Termiten so groß wie Menschen wären, Wolkenkratzer von einer Meile Höhe und fünf Meilen Durchmesser wären. Und wie ein Wolkenkratzer hatte der Termitenhügel eine ausgeklügelte Innenarchitektur, die für frische Luft sorgte, überschüssiges CO2 und Hitze abführte und so fort. Im Innern des Baus befanden sich Gärten, wo die Nahrung wuchs, Gemächer für das königliche Paar und Platz für sage und schreibe zwei Millionen Termiten. Kein Hügel war genau wie der andere; jeder wurde entsprechend den Bedingungen und Vorteilen der jeweiligen Umgebung gebaut.
Und das alles gelang ohne Architekt, ohne Vorarbeiter, ohne zentrale Autorität. Es war auch kein Konstruktionsplan in den Termitengenen einprogrammiert. Die gigantischen Schöpfungen waren stattdessen das Ergebnis von verhältnismäßig einfachen Regeln der Termiten im Umgang miteinander. (Regeln wie: »Wenn du riechst, dass eine Termite hier war, leg ein Sandkügelchen an die Stelle.«) Und dennoch war das Ergebnis unbestreitbar komplexer als jedes menschliche Werk.
Was wir jetzt vor Augen hatten, war das neue Werk eines neuen Geschöpfes, und wieder war der Entstehungsprozess schwer vorstellbar. Wie konnte ein Schwarm überhaupt einen Hügel errichten? Doch allmählich wurde mir klar, dass es hier draußen in der Wüste müßig war, diese Frage zu stellen. Die Schwärme veränderten sich schnell, fast von Minute zu Minute. Der natürliche menschliche Impuls, es begreifen zu wollen, war Zeitverschwendung. Hatte man es endlich begriffen, war schon wieder alles anders.
Bobby kam mit seinem ATV herangerumpelt und schaltete auch seinen Scheinwerfer aus. Wir standen zu dritt unter den Sternen. Bobby fragte: »Was machen wir jetzt?«
»Rosie folgen«, sagte ich.
»Sieht so aus, als würde Rosie gleich in dem Hügel da verschwinden«, sagte er. »Und du meinst, wir sollen ihr nach?«
»Ja«, antwortete ich.
Auf Maes Vorschlag hin gingen wir das letzte Stück zu Fuß. Mit den Rucksäcken auf dem Rücken brauchten wir
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