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Beute

Beute

Titel: Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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bis Mae die gesuchte Stelle fand. Dann ließ sie die Aufnahme laufen, und die Bilder der einzelnen Kameras kamen in rascher Folge. Ein Korridor. Die Fertigungshalle. Ein anderer Blick in die Fertigungshalle. Eine Luftschleuse. Wieder ein Korridor. Der Wartungsbereich. Ein Korridor. Die Küche. Der Freizeitraum. Der Flur des Wohntrakts. Eine Außenaufnahme vom Dach, mit Blick auf die in Flutlicht getauchte Wüste. Korridor. Energieraum. Außenaufnahme, ebenerdig. Wieder ein Korridor.
    Ich blinzelte. »Wie lange guckst du dir das schon an?«
    »Eine knappe Stunde.«
    »Meine Güte.«
    Als Nächstes sah ich einen Korridor. Ricky ging ihn hinunter. Energiestation. Außenaufnahme von oben, Julia, die in das Flutlicht trat. Ein Korridor. Julia und Ricky zusammen, sie umarmten sich, und dann ein Korridor, und .
    »Moment«, sagte ich.
    Mae drückte eine Taste. Sie sah mich an, sagte nichts. Sie drückte eine andere Taste, ließ die Bilder langsam vorlaufen. Sie stoppte bei der Kamera, die Ricky und Julia zeigte.
    »Zehn Bilder.«
    Die Bewegung war unscharf und ruckartig. Ricky und Julia gingen aufeinander zu. Sie umarmten sich. Die Unbefangenheit, Vertrautheit zwischen ihnen war deutlich zu spüren. Und dann küssten sie sich leidenschaftlich.
    »Ach, Scheiße«, sagte ich und wandte mich vom Bildschirm ab. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
    »Tut mir Leid, Jack«, sagte Mae. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Mir wurde kurz schwindelig, fast so, als würde ich gleich ohnmächtig. Ich setzte mich auf den Arbeitstisch, den Körper vom Bildschirm weggedreht. Ich konnte einfach nicht hinsehen. Ich holte tief Luft. Mae sagte noch etwas, aber ich hörte ihre Worte nicht. Ich holte wieder Luft. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar.
    Ich sagte: »Hast du davon gewusst?«
    »Nein. Bis vor ein paar Minuten hatte ich keine Ahnung.«
    »Weiß es sonst jemand?«
    »Nein. Wir haben manchmal drüber gewitzelt, dass sie was miteinander hätten, aber keiner von uns hat dran geglaubt.«
    »Gott.« Ich fuhr mir wieder durchs Haar. »Sag mir die Wahrheit, Mae. Ich muss die Wahrheit wissen. Hast du davon gewusst oder nicht?«
    »Nein, Jack. Hab ich nicht.«
    Schweigen. Ich holte Luft. Ich versuchte, mir über meine Gefühle klar zu werden. »Weißt du, was komisch ist?«, sagte ich. »Komisch ist, dass ich schon eine Weile den Verdacht hatte. Ich meine, ich war mir ziemlich sicher, dass da irgendwas lief, ich wusste bloß nicht, mit wem … Ich meine … Ich hab es mir zwar gedacht, aber es ist trotzdem ein ganz schöner Schock.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Auf Ricky wäre ich nie gekommen«, sagte ich. »Er ist so ein … wie soll ich sagen … schleimiger Typ. Und so eine große Nummer ist er auch nicht. Irgendwie hätte ich gedacht, sie sucht sich einen, der mehr Einfluss hat.« Während ich das sagte, musste ich an mein Gespräch mit Ellen nach dem
    Abendessen denken.
    Weißt du so genau, was Julias Stil ist?
    Das war, nachdem ich den Typen in ihrem Wagen gesehen hatte. Der Typ, dessen Gesicht ich nicht genau hatte erkennen können .
    Ellen: Das nennt man Verleugnung der Realität, Jack.
    »Herrgott«, sagte ich kopfschüttelnd. Ich war zornig, beschämt, verwirrt, wütend. Es wechselte im Sekundentakt.
    Mae wartete. Sie rührte sich nicht, und sie sagte nichts. Sie war völlig still. Schließlich fragte sie: »Willst du noch mehr sehen?«
    »Gibt’s denn noch mehr?«
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, ob ich, ähm … Nein, ich möchte nicht noch mehr sehen.«
    »Wäre aber vielleicht besser.«
    »Nein.«
    »Ich meine, vielleicht fühlst du dich dann besser.«
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich glaube, das verkrafte ich nicht.«
    Sie sagte: »Vielleicht ist es ja nicht so, wie du denkst, Jack. Es ist zumindest möglich, dass es nicht genau so ist, wie du denkst.«
    Das nennt man Verleugnung der Realität, Jack.
    »Tut mir Leid, Mae«, sagte ich. »Aber ich will mir nichts mehr vormachen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich weiß, was es bedeutet.«
    Ich hatte geglaubt, ich würde für immer mit Julia zusammen sein. Ich hatte geglaubt, wir würden beide die Kinder lieben, wir wären eine Familie, hätten ein Haus, ein gemeinsames Leben. Und Ricky hatte selbst ein Baby zu Hause. Es war einfach verrückt. Es ergab für mich keinen Sinn. Aber andererseits laufen die Dinge nie so, wie man denkt.
    Ich hörte Mae rasch auf der Tastatur tippen. Ich drehte mich um, sodass ich sie sehen konnte, aber nicht den Bildschirm.

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