Beute
war alles still. Ich ging Richtung Waschräume. Die Türen zu allen Schlafzimmern waren offen, was ich seltsam fand. Im Vorbeigehen konnte ich sie alle schlafen sehen. Außerdem brannte in jedem Zimmer Licht. Ich sah Ricky schlafen, und ich sah Bobby und Julia und Vince. Maes Bett war leer. Und natürlich war Charleys Bett leer.
Ich ging kurz in die Küche, um mir ein Gingerale aus dem
Kühlschrank zu nehmen. Ich war unglaublich durstig, die Kehle tat mir weh, so ausgetrocknet war sie. Und im Magen hatte ich ein flaues Gefühl. Ich blickte auf die Champagnerflasche. Plötzlich hatte ich das komische Gefühl, dass sich vielleicht jemand an der Flasche zu schaffen gemacht hatte. Ich nahm sie heraus und sah mir den Verschluss genau an, die Metallfolie, die den Korken verdeckte. Sie kam mir ganz normal vor. Keine Auffälligkeit, keine Nadelstiche, rein gar nichts.
Bloß eine Flasche Champagner.
Ich stellte sie zurück und schloss den Kühlschrank.
Ich fragte mich, ob ich Julia unrecht getan hatte. Vielleicht glaubte sie ja wirklich, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und wollte manches wieder gutmachen. Vielleicht wollte sie auch bloß ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Vielleicht war ich zu hart zu ihr. Zu nachtragend.
Denn was hatte sie schon Verdächtiges oder Falsches getan, wenn man mal richtig drüber nachdachte? Sie hatte sich gefreut, mich zu sehen, wenn auch etwas übertrieben. Sie hatte die Verantwortung für das Experiment übernommen, und sie hatte sich dafür entschuldigt. Sie hatte sich unverzüglich bereit erklärt, das Pentagon anzurufen. Sie hatte meinem Plan zugestimmt, den Schwarm im Technikraum zu vernichten. Sie hatte mir so gut sie konnte gezeigt, dass sie mich unterstützte und auf meiner Seite stand.
Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl.
Und natürlich war da noch die Sache mit Charley und dem Schwarm. Rickys Erklärung, dass Charley den Schwarm irgendwo im oder am Körper gehabt hatte, im Mund oder in den Achselhöhlen oder sonst wo, fand ich nicht gerade einleuchtend. Diese Schwärme töteten in Sekundenschnelle. Also blieb die Frage offen: Wie war der Schwarm denn nun in den Technikraum zu Charley gelangt? War er von draußen reingekommen? Wieso hatte er nicht Julia und Ricky und Vince angegriffen?
Ich vergaß, dass ich duschen wollte.
Ich beschloss, zum Wartungsbereich zu gehen und mir die Tür des Technikraumes noch einmal genauer anzusehen. Vielleicht hatte ich irgendetwas übersehen. Julia hatte viel geredet, meine Konzentration gestört. Fast so, als hätte sie verhindern wollen, dass ich einen klaren Gedanken fasste .
Da, schon wieder unterstellte ich Julia Böses.
Ich ging durch die Luftschleuse, den Korridor hinunter, wieder durch eine Luftschleuse. In müdem Zustand war es ausgesprochen unangenehm, von diesem Wind angeblasen zu werden. Ich gelangte in den Wartungsbereich und ging zur Tür des Technikraumes. Mir fiel nichts Ungewöhnliches auf.
Ich hörte das Klicken einer Tastatur und schaute ins Biologielabor. Mae saß an ihrem Computer.
Ich sagte: »Was machst du?«
»Ich seh mir das Videoband von den Überwachungskameras an.«
»Ich dachte, das geht nicht, weil Charley die Drähte rausgerissen hat.«
»Das hat Ricky gesagt. Aber es stimmt nicht.«
Ich wollte um den großen Arbeitstisch herum zu ihr gehen und ihr über die Schulter blicken. Sie hielt eine Hand hoch.
»Jack«, sagte sie. »Vielleicht ist es besser, du schaust dir das nicht an.«
»Was? Wieso nicht?«
»Tja, ähm … Vielleicht solltest du dir das jetzt nicht zumuten. Jedenfalls im Moment noch nicht. Vielleicht morgen.«
Aber natürlich kam ich nach dieser Äußerung praktisch um den Tisch herumgelaufen, ich wollte doch wissen, was es auf dem Monitor zu sehen gab. Und ich blieb abrupt stehen. Der Bildschirm zeigte einen leeren Korridor. Mit der Zeitangabe am unteren Bildrand. »Das ist alles?«, sagte ich. »Und das sollte ich mir nicht zumuten?«
»Nein.« Sie drehte sich auf dem Stuhl um. »Es ist so, Jack, man muss alle Überwachungskameras der Reihe nach durchgehen, und jede nimmt immer nur zehn Bilder pro Minute auf, daher kann man nie so genau sagen, was …«
»Zeig’s mir einfach, Mae.«
»Ich muss ein Stück zurückgehen …« Sie drückte mehrmals die Zurück-Taste. Wie viele moderne Überwachungsanlagen arbeitete die Xymos-Anlage nach dem Prinzip der InternetBrowser-Technologie. Man konnte die eigene Arbeit somit Schritt für Schritt verfolgen.
Die Bilder sprangen zurück,
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