Beute
braucht ihr es nur zu sagen.«
»Nein«, sagte ich, »wir wollen nicht allein sein.«
»Wie gesagt, ich versuche bloß zu helfen.« Sie wandte sich wieder dem Erste-Hilfe-Kasten zu. »Vielleicht finde ich ja noch was -« Pflasterpackungen und Plastikfläschchen mit Antibiotika fielen zu Boden.
»Julia«, sagte ich. »Bitte lass das.«
»Was mache ich denn? Was mache ich denn so Schreckliches?«
»Lass es einfach.«
»Ich versuche bloß zu helfen.«
»Das weiß ich.«
Hinter mir sagte Mae: »So. Fertig. Das müsste bis morgen halten.« Sie gähnte. »Und wenn ihr nichts dagegen habt, gehe ich jetzt ins Bett.«
Ich dankte ihr und sah ihr nach, wie sie den Raum verließ. Als ich mich wieder umdrehte, hatte Julia ein Glas Wasser und zwei Aspirin für mich in der Hand.
»Danke«, sagte ich.
»Ich konnte die Frau noch nie leiden«, sagte sie.
»Gehen wir schlafen«, sagte ich.
»Hier gibt es nur Einzelbetten.«
»Ich weiß.«
Sie kam näher. »Ich möchte mit dir zusammen sein, Jack.«
»Ich bin hundemüde. Wir sehen uns morgen, Julia.«
Ich ging in mein Zimmer und torkelte zum Bett. Ich machte mir nicht mal die Mühe, mich auszuziehen.
Ich weiß nicht mehr, wie mein Kopf das Kissen berührte.
7. Tag, 4.42 Uhr
Ich schlief unruhig, hatte einen schrecklichen Traum nach dem anderen. Ich träumte, dass ich in Monterey war und Julia erneut heiratete. Ich stand vor dem Pfarrer, als sie in ihrem Brautkleid neben mich trat, und als sie den Schleier lüftete, war ich schockiert, wie schön und jung und schlank sie war. Sie lächelte mich an, und ich lächelte zurück, versuchte, mein Unbehagen zu verbergen. Denn jetzt sah ich, dass sie mehr als nur schlank war, dass ihr Gesicht dünn, fast ausgemergelt war. Einem Totenschädel ähnlich.
Dann wandte ich mich dem Geistlichen vor uns zu, aber auf einmal war er Mae, und sie schüttete farbige Flüssigkeiten von einem Reagenzröhrchen ins andere. Als ich Julia wieder ansah, war sie außer sich vor Wut und sagte, sie habe die Frau noch nie leiden können. Irgendwie war es mein Fehler. Ich war schuld.
Ich wachte kurz auf, verschwitzt. Das Kopfkissen war nass. Ich drehte es um und schlief wieder ein. Ich sah mich selbst schlafend im Bett liegen, und als ich aufblickte, bemerkte ich, dass die Tür zu meinem Zimmer offen stand. Licht drang aus dem Flur herein. Ein Schatten fiel über mein Bett. Ricky trat ein und blickte auf mich hinunter. Sein Gesicht war dunkel im Gegenlicht, ich konnte seinen Ausdruck nicht erkennen, aber er sagte: »Ich habe dich immer geliebt, Jack.« Er beugte sich hinab, um mir etwas ins Ohr zu flüstern, und als sein Kopf näher kam, merkte ich, dass er mich stattdessen küssen wollte. Auf den Mund, leidenschaftlich. Er hatte ihn geöffnet. Seine Zunge leckte seine Lippen. Ich war völlig durcheinander, ich wusste nicht, was ich machen sollte, doch in diesem Augenblick kam Julia herein und fragte: »Was ist hier los?«, und Ricky wich hastig zurück und machte irgendeine ausweichende
Bemerkung. Julia war sehr zornig und sagte: »Nicht jetzt, du Idiot«, woraufhin Ricky erneut etwas Ausweichendes erwiderte. Und dann sagte Julia: »Das ist völlig unnötig, das erledigt sich von ganz allein.« Und Ricky sagte: »Bei intervallgesteuerter globaler Optimierung gibt es Konstriktionskoeffizienten für deterministische Algorithmen.« Und sie sagte: »Er wird dir nicht wehtun, wenn du dich nicht wehrst.« Sie schaltete das Licht im Zimmer an und ging hinaus.
Dann war ich plötzlich wieder auf meiner Monterey-Hochzeit; Julia stand in Weiß neben mir, und ich drehte mich zum Publikum um, und ich erblickte meine drei Kinder in der ersten Reihe, lächelnd und glücklich. Und während ich sie ansah, bildeten sich um ihre Münder schwarze Linien und breiteten sich nach unten über ihre Körper aus, bis sie ganz in Schwarz gehüllt waren. Sie lächelten weiter, aber ich war entsetzt. Ich lief zu ihnen, doch ich konnte den schwarzen Umhang nicht abreiben. Und Nicole sagte seelenruhig: »Vergiss die Rasensprenger nicht, Dad.«
Ich wachte auf. Ich hatte die Laken zerwühlt und war in Schweiß gebadet. Die Tür meines Zimmers stand offen. Ein Lichtrechteck fiel vom Flur auf mein Bett. Ich schaute zum PC-Monitor. Er zeigte »4.55«. Ich schloss die Augen und blieb einen Moment liegen, aber ich konnte nicht wieder einschlafen. Ich war schweißnass und fühlte mich unwohl. Ich beschloss, unter die Dusche zu gehen.
Kurz vor fünf Uhr morgens stand ich auf.
Im Flur
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