Beute
schützten. Zebras und Karibus zum Beispiel lebten nicht in Herden, weil sie gesellig waren, sondern weil die Herde Schutz vor Räubern bot. Bestand die Herde aus vielen Tieren, so war das gleichbedeutend mit erhöhter Wachsamkeit. Und angreifende Räuber waren häufig verwirrt, wenn die Tiere in alle Richtungen flohen. Manchmal blieben sie einfach stehen. Ein Räuber, dem zu viele bewegliche Ziele geboten wurden, verfolgte oft gar keines.
Das Gleiche galt für Vogel-und Fischschwärme - bei koordinierten Gruppenbewegungen fiel es Räubern schwerer, ein einzelnes Opfer herauszupicken. Räuber griffen vor allem Tiere an, die sich in irgendeiner Weise von der Masse abhoben. Das war ein Grund dafür, warum sie so häufig Jungtiere auswählten - nicht bloß weil sie leichter zu erbeuten waren, sondern auch, weil sie anders aussahen. Und Räuber töteten mehr männliche als weibliche Tiere, weil sich besonders nichtdominante Männchen eher am Rand der Herde aufhielten, wo sie auffälliger waren.
Als Hans Kruuk vor dreißig Jahren in der Serengeti Hyänen studierte, fand er heraus, dass ein Tier, nachdem man es mit Farbe markiert hatte, beim nächsten Angriff garantiert getötet wurde. So stark war die Macht des Unterschieds.
Die Botschaft war also ganz einfach. Zusammenbleiben. Gleich bleiben.
Das war unsere größte Chance.
Aber ich hoffte, dass es nicht so weit kommen würde.
Die Schwärme verschwanden für eine Weile. Sie waren jetzt auf der anderen Seite des Laborgebäudes. Wir warteten nervös. Schließlich tauchten sie wieder auf. Erneut bewegten sie sich an der Längsseite des Gebäudes entlang, überprüften eine Maueröffnung nach der anderen.
Wir alle schauten auf dem Monitor zu. David Brooks war in
Schweiß gebadet. Er wischte sich die Stirn mit dem Ärmel ab. »Wie lange wollen die das denn noch machen?«
»Solange sie Lust haben«, erwiderte Charley.
Mae sagte: »Zumindest, bis der Wind wieder stärker wird. Und danach sieht es im Moment nicht aus.«
»Herrgott«, sagte David. »Wie könnt ihr das bloß aushalten.«
Er war bleich; Schweiß war ihm von den Augenbrauen auf die Brillengläser getropft. Er sah aus, als würde er jeden Moment umkippen. Ich sagte: »David. Möchtest du dich hinsetzen?«
»Ist vielleicht besser.«
»Okay.«
»Komm, David«, sagte Rosie. Sie führte ihn zum Waschbek-ken und setzte ihn auf den Boden. Er umklammerte seine Knie, stützte den Kopf darauf. Rosie befeuchtete ein Papiertaschentuch mit kaltem Wasser und legte es ihm in den Nacken. Ihre Gesten waren zärtlich.
»Diese Memme«, sagte Charley kopfschüttelnd. »So was hat uns gerade noch gefehlt.«
»Charley«, sagte Mae, »das ist wirklich nicht gerade hilfreich …«
»Na und? Wir sitzen in diesem verdammten Schuppen in der Falle, luftdicht ist er auch nicht, wir können gar nichts machen, können nirgendwohin, und der Typ da knallt durch, macht alles noch schlimmer.«
»Ja«, sagte sie leise, »stimmt alles haargenau. Und du machst es auch nicht besser.«
Charley bedachte sie mit einem Blick und fing an, die Titelmelodie von »Twilight Zone« zu summen.
»Charley«, sagte ich. »Guck mal.« Ich beobachtete die Schwärme. Ihr Verhalten hatte sich leicht verändert. Sie blieben nicht mehr dicht am Gebäude. Sie bewegten sich jetzt im Zickzack von der Wand weg in die Wüste und dann wieder zurück. Alle vier taten das, wie in einem fließenden Tanz.
Mae sah es auch. »Neues Verhalten …«
»Ja«, sagte ich. »Ihre Strategie funktioniert nicht, also suchen sie nach einer neuen.«
»Wird ihnen nichts nützen«, sagte Charley. »Sie können so viel Zickzack tanzen, wie sie wollen, das öffnet ihnen auch keine Tür.«
Trotzdem war ich fasziniert von diesem emergenten Verhalten. Die Zickzackbewegungen wurden ausladender; die Schwärme bewegten sich jetzt immer weiter von den Gebäuden weg. Ihre Strategie veränderte sich zusehends. Sie entwickelte sich vor unseren Augen. »Wirklich erstaunlich«, sagte ich.
»Kleine Mistkerle«, sagte Charley.
Einer der Schwärme war jetzt ziemlich nah an dem Kaninchenkadaver. Er näherte sich ihm bis auf einige Meter und wirbelte wieder weg, zurück zum Hauptgebäude. Mir kam ein Gedanke. »Wie gut können die Schwärme sehen?«
Es klickte im Headset. Es war Ricky. »Die sehen ausgezeichnet«, sagte er. »Waren ja schließlich auch dazu gedacht. Hundertfünfzigprozentige Sehstärke. Fantastische Auflösung. Besser als beim Menschen.«
Ich fragte: »Und wie funktioniert
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