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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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Baby, das jetzt schon alle seine Finger- und Zehennägel hat – winzige, winzige Pusteblumennägel.
    »Soll ich die Empfangsdame bitten, dass sie unseren Termin streicht?«, fragt Dad. »Ich möchte nicht, dass du sagst, ich hätte dich gezwungen.«
    Ein ganz klein wenig tut er mir schon leid, wie er seine Schuhe so mit den Füßen scharrend unter den Stuhl steckt, wie ein Schuljunge. Wie meilenweit wir aneinander vorbeireden.
    »Nein, Dad, du musst es nicht absagen.«
    »Du gehst also rein?«
    »Ja.«
    Er drückt meine Hand. »Das finde ich toll, Tess.«
    Eine Frau kommt die Treppe hoch in das Foyer. Sie stakst auf uns zu und schüttelt Dad herzlich die Hand.
    »Wir haben telefoniert«, sagt sie.
    »Ja.«
    »Und das hier muss Tessa sein.«
    »Stimmt genau!«
    Sie reicht mir die Hand, aber ich beachte sie nicht weiter, sondern tue so, als könnte ich meine Arme nicht bewegen. Vielleicht wird sie denken, dass es zu meiner Krankheit gehört. In tiefstem Mitleid wandert ihr Blick über Jacke, Schal und Mütze
von mir. Vielleicht weiß sie, dass es heute nicht so kalt draußen ist.
    »Es gibt keinen Aufzug«, sagt sie. »Schaffst du die Treppe?«
    »Wir kommen klar«, sagt Dad.
    Sie sieht erleichtert aus. »Richard freut sich sehr darauf, Sie beide kennenzulernen.«
    Während wir zum Studio runtergehen, flirtet sie mit Dad. Mir kommt der Gedanke, dass sein unbeholfenes Beschützerverhalten mir gegenüber auf Frauen anziehend wirken könnte. Es bringt sie dazu, ihn retten zu wollen. Vor mir. Vor diesem ganzen Elend.
    »Das Interview wird live sein«, informiert sie uns. Als wir zur Studiotür kommen, dämpft sie ihre Stimme. »Sehen Sie dieses rote Licht? Das bedeutet, dass Richard auf Sendung ist und wir nicht reindürfen. Gleich wird er einen Trailer spielen, und das Licht wird grün.« Das sagt sie so, als müssten wir davon schwer beeindruckt sein.
    »Welchen Aufhänger wird Richard verwenden?«, frage ich. »Wird es die übliche Der-Tod-und-das-Mädchen-Story, oder hat er was Originelles in der Pipeline?«
    »Wie bitte?« Ihr Lächeln rutscht ab; mit einer Spur Besorgnis schaut sie Bestätigung heischend zu Dad. Kann es sein, dass sie einen winzigen Hauch Feindseligkeit gewittert hat?
    »Es gibt zu wenig Krebszentren für Jugendliche in Krankenhäusern«, beeilt Dad sich zu sagen. »Wenn wir das Bewusstsein dafür auch nur ein kleines bisschen schärfen können, das wär toll.«
    Das rote Licht vor dem Studio springt auf Grün um. »Sie sind dran!«, sagt die Aufnahmeleiterin und hält uns die Tür auf. »Tessa Scott mit ihrem Vater«, meldet sie.
    Das hört sich an, als wären wir Gäste eines Galadiners oder zu einem Ball gekommen. Aber Richard Green ist kein Fürst, wie er sich da halb von seinem Stuhl erhebt und uns eine fleischige
Pranke hinhält, die wir nacheinander schütteln. Die Hand ist so verschwitzt, als gehörte sie mal ausgewrungen. Aus seiner Lunge kommt ein Pfeifton, als er sich wieder zurückplumpsen lässt. Nach Zigaretten stinkend, wühlt er in Papieren. »Setzt euch«, sagt er uns. »Ich stell euch kurz vor, und dann legen wir einfach gleich los.«
    Früher habe ich mir immer angesehen, wie Richard Green zu Mittag die Lokalnachrichten sprach. Eine Schwester im Krankenhaus schwärmte für ihn. Jetzt weiß ich, warum er in den Rundfunk verbannt wurde.
    »Okay«, sagt er. »Los geht’s. Seid möglichst natürlich. Wir gehen es ganz locker an.« Er spricht ins Mikrofon: »Und jetzt habe ich das Vergnügen, eine sehr tapfere junge Dame als meinen heutigen Studiogast begrüßen zu dürfen: Tessa Scott.«
    Mein Herz schlägt schneller, als er meinen Namen sagt. Ob Adam wohl zuhört? Oder Zoey? Vielleicht liegt sie ja auf dem Bett und hört Radio. Kämpft gegen ihre Übelkeit an. Im Halbschlaf.
    »Tessa lebt seit nunmehr vier Jahren mit Leukämie, und heute ist sie mit ihrem Dad hergekommen, um von allen ihren Erfahrungen zu berichten.«
    Dad lehnt sich vor, und Richard stellt ihm, vielleicht, weil er seine Bereitwilligkeit erkennt, die erste Frage: »Erzählen Sie uns, wann Sie das erste Mal gemerkt haben, dass Tessa krank war?«
    Das gefällt Dad. Er erzählt von der grippeähnlichen Krankheit, die wochenlang anhielt und einfach nicht weggehen wollte. Davon, dass unser Hausarzt der Ursache nicht weiter auf den Grund ging, weil Leukämie so selten ist.
    »Uns sind blaue Flecken aufgefallen«, sagt er. »Kleine Blutergüsse auf Tessas Rücken, verursacht durch eine Abnahme ihrer Thrombozyten.«
    Dad

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