Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
behaupten, sie hätten nichts tun können. Er hat sie unten am Fisketorvet abgehängt.«
*
»Morgen höre ich auf.«
Linnea warf die Zigarette auf das gefrorene Gras und trat sie mit dem Absatz ihres Stiefels aus. Dann besann sie sich eines Besseren, sammelte den Stummel auf und steckte ihn wieder in das Päckchen zurück. Sie hasste den Gestank von alten Kippen, aber beim Gedanken an Thors Meinung über ihr sogenanntes Gelegenheitsrauchen erschien es ihr schlauer, nicht allzu offen zu zeigen, wie viel sie seit ihrer Rückkehr aus Hamburg geraucht hatte. Sie schauderte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Handy, das auf der Bank lag, während sie an diesem klaren Januartag über das Reihenhausgebiet schaute. Sie hatte sich eine letzte Zigarette gönnen wollen, bevor Thor nach Hause kam.
Nach ihrem Erlebnis in Anisas Haus hatte sie das Bedürfnis gehabt, ihn zu sehen, Hand in Hand mit ihm spazieren zu gehen oder einfach nur vor dem Fernseher zu liegen und eine dieser Talentshows zu gucken, die er sich ansah, ohne dass es ihm peinlich war. Jetzt war sie vollkommen steif gefroren, nachdem sie die letzte Dreiviertelstunde in seinem Vorgarten zugebracht hatte. Abgesehen vom Rauchen hatte sie die Zeit dazu genutzt, im Internet nach Flügen nach Frankreich zu suchen. Eine konkrete Aufgabe zu haben, war die einzige Methode, mit der sie ihre Nerven beruhigen konnte. Und nach dieser entsetzlichen Fahrt nach Hamburg hatte sie irgendwie das Gefühl, dass sie es ihrer Mutter schuldig war, für sie da zu sein. Als hätte sie sie hintergangen, indem sie Kontakt zu Adèle aufgenommen hatte. Und als wäre sie dafür bestraft worden.
Linnea blickte im selben Moment auf, als Thor die Gartenpforte öffnete. Er wirkte überrascht, sie zu sehen, ging auf sie zu und gab ihr einen hastigen Kuss.
»Du bist ganz kalt«, sagte er.
Er schnupperte ein wenig an ihr, als könnte er den Rauch riechen, kommentierte es jedoch nicht, sondern blieb auf dem Gartenweg stehen, als wollte er etwas sagen. Linnea war schon auf halbem Weg zur Haustür, als er endlich redete.
»Wir haben einen Schlafsack auf Anisas Dachboden gefunden, zusammen mit drei leeren Coladosen, anderthalb Litern Wasser und zwei Kekspackungen. Ich glaube, sie hat dort schon länger übernachtet.«
Linnea nickte. Sie ahnte, was jetzt kommen würde.
»Du hättest das nicht machen sollen.«
Thor blickte sie vorwurfsvoll an.
»Erst Hamburg und jetzt das hier. Du glaubst, du könntest alles auf eigene Faust durchziehen, aber es wäre die Aufgabe der Polizei gewesen, das Haus zu durchsuchen. Verstehst du denn nicht, dass du dich ernsthaft in Gefahr gebracht hast? Wieder einmal?«
Er sah wirklich wütend aus. Linnea berührte ihren schmerzenden Ellbogen. Der ganze Unterarm war gelb-schwarz verfärbt. Armer Thor, er verstand einfach nicht, dass sie morgen genau dasselbe wieder tun würde.
»Ja, du hast natürlich recht. Okay. Aber ich war so dicht dran. Verstehst du denn nicht, dass ich sie fast gehabt hätte?«
Sie sah ihn eindringlich an.
»Dass ich so kurz davor war? Sie hat mir vertraut. Sie war bereit, mit mir mitzukommen. Ich bin mir ganz sicher!«
Der Computer stürzte zweimal ab, als sie abermals nach den Flügen suchen wollte, und Linnea ärgerte sich, dass sie ihr MacBook nicht mitgenommen hatte, sondern mit Thors Acer vorliebnehmen musste. Aber mit dem unzuverlässigen Laptop am Küchentisch zu sitzen, war immer noch bequemer, als mit dem Handy im Garten zu stehen.
Sie tippte die Daten ihrer American-Express-Card in das Zahlungsformular und überlegte kurz, ob sie womöglich zu viel im Internet einkaufte, wenn sie sogar schon ihre Kreditkartennummer auswendig kannte. Im nächsten Moment hatte sie in ihrem Postfach die Bestätigung für einen Flug Kopenhagen-Paris in zehn Tagen und den Rückflug drei Tage darauf. Anschließend surfte sie weiter, bis sie eine Autovermietung fand, die einen Peugeot 407 am Flughafen Charles de Gaulle für sie bereitstellte. Der Routenplaner verriet ihr, dass die Fahrzeit vom Flughafen nach Évreux ungefähr eineinhalb Stunden dauerte, und Linnea mailte der Pflegerin, Madame Jacqueline Grangé, ihre voraussichtliche Ankunftszeit.
Sie lehnte sich im Stuhl zurück und spürte fast buchstäblich, wie eine Last von ihren Schultern genommen wurde. Obwohl es zurzeit genügend Dinge gab, die sie beschäftigten, war es keine Übertreibung, dass ihr der Gedanke an die Mutter in letzter Zeit den Schlaf geraubt hatte. Sie hatten
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