Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
das Kraus ihm reichte. Es war einer jener Ordner, in die Spang-Hansen ordentlich all seine Artikel abgeheftet hatte.
»Ewald hat sie entdeckt«, sagte Kraus. »Du weißt schon, er hat ein Faible für das Methodische und Trockene.«
Der Ordner war bei einem Artikel aufgeschlagen, den Thor aus der Plastikhülle zog und auseinanderfaltete. Es waren zwei ganze Seiten aus der Politiken vom 18 . Juli 2010 . Ein Sommerfeature mit viel Raum für ein ausführliches Porträtinterview. Es war Teil einer Serie über dänische Entwicklungshelfer und idealistische Ehrenamtliche, die daran arbeiteten, die Verhältnisse in Entwicklungsländern und Katastrophengebieten zu verbessern. »Die wahren Helden.« Zunächst verstand Thor nicht, worüber Kraus so begeistert war, dann aber las er die Bildunterschrift unter einem großen Foto von einem afrikanischen Slum, vor dem ein Europäer von einheimischen Kindern umringt stand. Es war Ansgar Toftegaard.
»Sie kennen sich«, sagte Kraus. »Endlich haben wir eine direkte Verbindung.«
Thor glotzte weiter das Bild an. Es war, als könnte er nicht fassen, was er da erkannte. Sie sahen sich zwar nicht übermäßig ähnlich, aber dennoch zweifelte er keine Sekunde.
»Es ist sein Vater«, erklärte er dann.
Er klopfte mit dem Finger auf das Foto.
»Das sind Vater und Sohn, verdammt!«
Kraus schaute verwundert drein.
»Sie haben nicht denselben Namen«, fuhr Thor fort. »Der Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als der Sohn noch ganz klein war, erinnerst du dich nicht? Ich bin mir sicher, dass ich recht habe, aber überprüfst du das sicherheitshalber noch mal? Hatten wir vielleicht sogar schon mit ihm zu tun, um ihn über den Tod seines Sohnes zu informieren?«
»Was ist mit der Mutter? Hätte sie denn nicht reagieren müssen, wenn das stimmt? Die Sache war doch ziemlich präsent in den Medien.«
»Vielleicht«, sagte Thor. »Ruf sie an. Und ich möchte alles über Ansgar Toftegaard wissen. Nimm das Verhältnis von Vater und Sohn unter die Lupe. Innerhalb von ein und derselben Woche getötet? Wir müssen alles ausgraben, was sie verbindet! Jetzt ist es vorbei mit den Zufällen.«
Thor war bereits aufgesprungen und auf dem Weg in den zweiten Stock, um mit Heidi Mikkelsen zu reden. Sie musste ihnen die Genehmigung erteilen, das Ganze als komplett neuen Ermittlungskomplex zu eröffnen, der sowohl die beiden Morde in Kopenhagen als auch die drei in Mogadischu beinhaltete. Sie brauchten mehr Personal.
In der Tür drehte er sich noch einmal um und deutete auf Kraus’ Computer.
»Ich glaube, du solltest Ewald damit beauftragen, sich durch die Mails zu wühlen. Denk mal drüber nach. Drei dänische Entwicklungshelfer werden ermordet. Die Polizei vor Ort geht von einem bewaffneten Überfall aus, aber wir glauben nicht so recht daran, und unmittelbar danach schickt der Abschirmdienst einen Mann vor Ort. Das stinkt doch nach Vertuschung!«
»Einverstanden, aber bisher habe ich nichts Ungewöhnliches in den Mails gefunden, keine geheimnisvollen Verschwörungen oder Ähnliches.«
Thor lächelte.
»Vielleicht ist ja gerade das interessant?«
»Wie meinst du das?«
»Hast du deinen Sherlock Holmes etwa nicht richtig gelesen? Silberstern , die Geschichte mit dem Hund, der gerade deshalb so interessant ist, weil er nicht bellt?«
Kraus sah Thor mit leerem Blick an.
»Vergiss es einfach«, sagte Thor. »Die Pointe ist, das nichts in ihren Mails zu finden ist, obwohl wir davon ausgehen, dass sie in irgendetwas verstrickt waren. Du sagst, dass sie sich regelmäßig Mails geschrieben haben. Aber diese Sache erwähnen sie mit keinem Wort. Sie haben sich nicht sicher gefühlt. Vielleicht haben sie es nur unter vier Augen besprochen, vielleicht am Telefon oder in einem Mailkonto, das wir nicht kennen. Aber nie hier, in ihren Arbeitsmails. Und warum nicht? Weil jeder, der einen administrativen Zugang zu Kintus IT -Netzwerk hatte, mitlesen konnte. Deshalb können wir es ja auch so einfach.«
»Und was sagt uns das?«
Thor zuckte mit den Schultern. Plötzlich war er sich dessen, was ihm eben noch so spitzfindig vorgekommen war, nicht mehr ganz sicher.
»Ich weiß nicht so richtig, aber vielleicht sollten wir die Mails trotzdem noch einmal genauer lesen. Und unsere Aufmerksamkeit dann wieder ein bisschen mehr auf die Organisation von Kintu richten.«
Er wollte sein Argument noch weiter ausführen, doch im selben Moment klingelte sein Handy. Er sah einen verpassten Anruf von Linnea, aber diesmal
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