Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
keineswegs ein typischer Agent. Er kannte jedenfalls keinen anderen als sich selbst, der für die Nachrichtendienste zweier unterschiedlicher Länder arbeitete – zumindest nicht gleichzeitig.
Schuld an allem war natürlich seine Mutter, sowohl direkt als auch indirekt. »Sue Ellen from Dallas«, wie sie sich gern scherzhaft vorstellte. Anschließend konnte sie sich über die verwirrten Mienen der anderen amüsieren, bis sie sich endlich erbarmte und ihnen erklärte, dass jenes Dallas, auf das sie anspielte, ein abgelegenes schottisches Küstendorf war. Sie war Krankenschwester und stammte aus den Highlands. In Edinburgh hatte sie einen dänischen Ingenieur geheiratet, und damit hatte Warwick sowohl die dänische als auch die britische Staatsbürgerschaft und war in beiden Ländern aufgewachsen. Schon in Cambridge war der Secret Intelligence Service – der britische Auslandsgeheimdienst, besser bekannt unter dem Namen MI 6 – an ihn herangetreten. Irgendwann hatte er dann ein Büro am Vauxhall Cross an den Ufern der Themse und gehörte zum HUMINT -Team der Afrika-Sektion. Drei Jahre hatte er für die Human Intelligence gearbeitet – bis zu jenem Tag vor dreizehn Jahren, an dem er sich voller Abscheu schwor, nie wieder etwas mit dem Nachrichtendienst zu tun zu haben, und nach Dänemark zurückkehrte, um eine Forscherkarriere einzuschlagen.
Aber das war lange her, und jetzt befand er sich in der somalischen Hauptstadt. Im Grunde war diese Angelegenheit für den Abschirmdienst nur von begrenztem Interesse. Die Polizei vor Ort hatte bereits in der Mordsache ermittelt und den dänischen Behörden mitgeteilt, die Taten seien vollständig aufgeklärt. Allerdings hatte es in den letzten Jahren zwei besorgniserregende Fälle mit dänischen Staatsangehörigen gegeben, die der somalischen Moschee im Nordre Fasanvej im Kopenhagener Nordvestkvarter angehörten und in Terrorangriffe in Mogadischu verwickelt gewesen waren. Einer von ihnen hatte angeblich einer Gruppe von Selbstmordattentätern angehört, die unzählige Unschuldige ermordeten, ehe sie sich am hiesigen Flughafen in die Luft sprengten, ein anderer stand im Verdacht, einen Anschlag geplant zu haben, der vier Menschen das Leben kostete. Somalia war ohnehin ein Paradies für Terroristen, aber Warwicks Interesse war zusätzlich geweckt worden, als er den Namen des einen getöteten Dänen wiedererkannte. Ansgar Toftegaard, Bente Hultin und Martin Svendsen, hatte es in der Mail vom Außenministerium geheißen. Der Letztgenannte war auf seinem ersten Einsatz gewesen, die anderen beiden waren erfahrene alte Hasen, die schon bei mehreren Großprojekten in Afrika mitgearbeitet hatten.
Aber jetzt waren sie nur noch Namen auf den offiziellen Leichenpässen; drei Särge, die darauf warteten, ihre letzte Heimreise nach Dänemark anzutreten.
*
Wider Erwarten gelang es Thor, eine Parklücke auf dem Halmtorvet zu finden; fast direkt vor dem Hauseingang an der Ecke zum Gasværksvej, wo Mikkel Spang-Hansen mit seiner Freundin gewohnt hatte. Thor hatte einige Artikel des jungen Journalisten gelesen. Die meisten waren scharfsinnig und gut geschrieben, zeugten allerdings auch davon, dass er auf ziemlich unerträgliche Weise von sich selbst eingenommen war. Spang-Hansens Wohnung befand sich im vierten Stock und hatte einen Balkon mit Aussicht auf Kødbyen, und für Thor passte die hippe Lage perfekt zu dem Eindruck eines smarten, aufstrebenden Journalisten, den er von Spang-Hansen gewonnen hatte. Hier lag seit über hundert Jahren der Fleischmarkt der Stadt, und das war im Grunde auch heute nicht anders, wo die Metzger aus den rustikalen Gemäuern ausgezogen und durch trendige ökologische Restaurants und Underground-Clubs ersetzt worden waren. Der offene Straßenstrich mit Zwangsprostituierten aus Osteuropa und Afrika ging direkt vor den Fenstern der Cafés weiter, ohne dass es irgendjemandem den Appetit verdarb.
Zu seinem Verdruss hatte Thor am Vortag nur kurz mit Spang-Hansens Freundin telefonieren können, weil sie in Norddeutschland auf Tournee und nur schwer erreichbar war. Doch sie hatte ihre Auftritte sofort abgebrochen und inzwischen wenigstens etwas Zeit gehabt, die Situation zu begreifen, ehe er seine unsensiblen Fragen stellte. Er selbst hatte die letzten beiden Tage vor allem damit verbracht, die Obduktion zu begleiten und mit den Kriminaltechnikern über ihre Funde auf Helgoland zu konferieren. Und sich außerdem darüber zu ärgern, dass die Fahndung nach Anisa
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