Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
war nicht sie es. Die Nummer war unterdrückt, und auch die Stimme des Anrufers war ihm unbekannt.
»Sie kennen mich nicht. Aber Sie sollten davon ausgehen, dass ich etwas habe, was Sie sehr interessieren wird. Kennen Sie das Parkdeck über dem Imperial?«
*
Mogadischu, Sahafi Hotel International, 18 . Januar 2011
»Wir müssen reden. Gibt es Neuigkeiten von Ansgar?«
Bente Hultin sah von dem bescheidenen Frühstücksbüfett des Hotels auf und direkt in Martin Svendsens rot geäderte Augen. Sein Atem stank säuerlich nach Kaffee und Zigaretten, und er hatte sich offensichtlich schon seit mehreren Tagen nicht mehr rasiert. Diskret wandte sie sich ab, ehe sie tief Luft holte und versuchte, ihm mit möglichst ruhiger Stimme zu antworten.
»Du hast doch gesagt, dass du ihn gestern Abend sprechen wolltest? Du weißt doch, dass er sich nie so früh am Morgen blicken lässt. Und was ist überhaupt mit dir, hast du denn gar nicht geschlafen?«
Martin schüttelte nur den Kopf und sah resigniert auf das trockene Toastbrot und das nicht ganz frische Obst, das vom Hotelpersonal so appetitlich wie irgend möglich arrangiert worden war. Dann gab er auf und ging zu der riesigen Kaffeemaschine, die in einer Ecke des Raums stand, um sich eine Tasse zu holen. Wie die meisten Haushaltsgeräte und alles andere Elektronische in Mogadischu schien sie mindestens zwanzig Jahre auf dem Buckel zu haben. Immerhin konnten sie dankbar sein, dass das Hotel einen verhältnismäßig zuverlässigen Stromgenerator hatte.
Bente beeilte sich, ihr Tablett zu nehmen und einen leeren Tisch in einer abgelegenen Ecke zu finden. Sie wollte weg von Martin und seinem lauten Gerede inmitten dieses großen Speisesaals, der vielen Ausländern in der Stadt als fester Treffpunkt diente. Im Sahafi Hotel International wohnte der überwiegende Teil der immer kleiner werdenden Schar der Entwicklungshelfer und Journalisten, die sich nur in der Begleitung von an der Rezeption anheuerbaren Söldnern draußen bewegen konnte. Nach Einbruch der Dunkelheit durfte man gar nicht mehr auf die Straße. Ab 18 Uhr herrschte Ausgangssperre, was man nur so lange für übertrieben hielt, bis man seinen ersten Abend in der Stadt erlebt hatte. Das Hotel war nicht grundlos von Mauern und Schlagbäumen abgeriegelt. Sobald es dunkel wurde, verwandelte sich die ausgebombte Hauptstadt zu einer wahren Kriegszone. Die konkurrierenden Warlords trugen ihren ewigen Kampf um die Gebiete aus, und Mogadischu wurde wieder und wieder von Maschinengewehrfeuer und Explosionen erhellt.
Bente ertappte sich wieder einmal dabei, dass sie sich in ihren kleinen Bungalow in Bulawayo zurücksehnte. In Simbabwe hatte sie für Kintu vier friedliche und fruchtbare Jahre verbracht, in denen sie wirklich das Gefühl hatte, etwas für die Einheimischen zu bewirken. Nicht nur in der täglichen Arbeit – sie unterrichtete und unterstützte die Frauen der Stadt –, sondern auch, weil sie ein wunderbares Verhältnis zu ihren Angestellten hatte. Zu dem Koch, der blitzschnell lernte, ihr Frühstücksei auf den Punkt zu kochen, und der es liebte, wenn sie von Dänemark erzählte, und ihrem jungen Dienstmädchen Sally, mit der sie jeden Abend lesen übte. Und zu Simon natürlich. Der schöne Simon, ihr zwanzigjähriger Gärtner, mit dem sie eine ganz besondere Seelenverwandtschaft gehabt hatte.
Aber nun hockte sie hier, in einer Stadt, die einem einzigen Bombenkrater glich und in der Kintu eine der wenigen Hilfsorganisationen war, die sich noch nicht zurückgezogen hatte. Ihre Anwesenheit war dringend nötig, aber gleichzeitig drängte sich hier die Hoffnungslosigkeit mehr auf als an allen anderen Orten, an denen sie je gewesen war. Man konnte nicht viel anderes tun, als die Tage zu zählen, bis der zehnmonatige Aufenthalt hier überstanden war. Natürlich war sie freiwillig hier, denn es gab ein ungeschriebenes Gesetz bei Kintu, dass man sich seine Einsatzorte nahezu frei aussuchen konnte, wenn man seinen Teil in einer besonders schwierigen Gegend geleistet hatte. Und jetzt, da nur noch zwei Monate vor ihr lagen, hatte Bente eigentlich endlich Licht am Ende des Tunnels gesehen – und die Möglichkeit, wieder nach Bulawayo zurückzukehren.
Das war jedoch, bevor sich alles vom einen Tag auf den anderen änderte. Bevor Martin und Ansgar und sie sich ständig vor möglichen Verfolgern in Acht nehmen mussten und niemandem mehr vertrauen konnten, inzwischen nicht einmal mehr einander.
»Wo warst du plötzlich?
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