Bewegt Euch
einen simplen Vertrag mit mir gemacht: an Wochentagen eine Stunde, an Wochenenden jeweils zwei Stunden bewegen, und zwar richtig. Gartenarbeit zählt ebenso wenig wie Spielplatz. Es gilt: Puls über 130, Schweiß marsch. Die Effekte sind wundervoll: Einerseits kann ich essen und trinken, was ich will, andererseits passe ich schon deswegen ein wenig auf, weil ich am nächsten Morgen nicht mit einem dicken Schädel aufs Rennrad steigen mag. Das ist Demokratie für Körper, Geist und Seele: Alle kommen zu ihrem Recht.
Einfach einsam
Allein allein
Liedtitel von Polarkreis 18
Der Wecker scheppert. Halb sechs. Morgensonne. Mist. Keine Ausrede. Die Treppe hinabtaumeln. Niemand da, der mich bewundert. Die Stadt der Spätaufsteher ist ausgestorben. Ich fahre mein Sommerprogramm, das ich mir jedes Jahr wieder täglich vornehme. Es ist August. Und ich bin schon das zweite Mal in diesem Jahr so früh unterwegs. Allein allein.
Einsamsein ist eine der wundervoll brutalen Übungen des Freizeitbewegers. Steigerungen sind einsam plus Muskelkater, einsam mit Panik wegen anstehenden Wettbewerbs oder einsam mit Restalkohol, weil das Wissen aus dem Ernährungsratgeber zwar theoretisch erfasst, aber praktisch nicht umgesetzt wurde. Die erste Frage am frühen Morgen lautet stets: Warum? Keine befriedigende Antwort. Auf die Klassiker wie Schlanksein, Schönsein, Fitsein entgegnet der morgenmüde Mensch zu Recht: aber nicht jetzt. Primärziele spielen keine Rolle beim Alleinsein. Wer sich über Stunden durch mehr oder minder unwirtliche Gegenden schlägt, der will die Phase körperlicher Befindlichkeiten verlassen, der will geistige Freiheit spüren, weil er weiß, dass Entspannung oft gerade dann entsteht, wenn wir uns aus der daunenweichen Komfortzone herausbewegen.
Das Alleinsein wird von vielen Menschen gefürchtet, weil der Anfang immer mühsam ist. Alltagsreste wummern, Dialogfetzen flattern, die Bewegungen sind unkonzentriert, eckig, hektisch. Ziel ist der Moment, wenn sich das Gegen in ein Mit verwandelt. Ich brauche mindestens eine halbe Stunde, meistens länger, um die Widerstände einigermaßen loszuwerden. Manchmal klappt es auch gar nicht. Aber ich weiß, dass es diese andere Seite gibt, jenseits einer unsichtbaren Mauer, die ich nur allein überwinden kann.
Wer je die Erfahrung gemacht hat, sich in der Natur aufzulösen so wie es Haruki Murakami als »leise, stille Stimmung« beschreibt, der gewinnt ein entspannteres Verhältnis zum Alleinsein. Die Angst verschwindet, der Moment gewinnt.
Man müsse zunächst seine großen Ziele und den inneren Willen loslassen, sagt der Sportpsychologe Andreas Marlovits, und zugleich eine »passive Qualität des Sich-Überlassen-Könnens« entwickeln. Der gute Moment, so Marlovits, erwachse aus der Ich-Verkleinerung, dem Aufgeben selbstbezogener Größenfantasien.
Oft handelt es sich wohl um eine Art Tagtraum in einer Sphäre zwischen Wachsein und Dösen. Spitzenathleten schaffen es sogar, Willen und Loslassen zu vereinen. »Training, das ist sich auflösen, schmelzen«, sagt Quenton Cassidy, der Held aus Once a Runner, einem der besten Laufromane, der sich viel ums Alleinsein dreht.
Ausgerechnet Disziplin erzeugt bei Sportlern Freiheits gefühle, weil Disziplin unangreifbar macht. Das Muster ist bekannt von Religionsgründern wie Jesus, Mohammed oder Buddha, Pilgern oder Aussteigern – im Kern geht es im Alleinsein um ein systematisches Entselbsten. »Der größte Teil allen Übungsverhaltens vollzieht sich in der Form von nicht deklarierten Askesen«, glaubt der Philosoph Peter Sloterdijk. Die Stille, die den Einsamen umgibt, wirkt verstärkend. Ich erlebe das Bewegen allein, vor allem am frühen Morgen, als spannende Aufgabe.
Der Gipfel des Alleinseins ist die Wettkampfvorbereitung. Wer je für Marathon oder Triathlon trainierte und keine Mitstreiter hatte, der weiß, was Hoffen und Bangen wirklich bedeutet. Selbst liebende Partner sind schnell am Ende ihrer Geduld, Kinder sowieso. Es gibt keine Abkürzungen, keine Tricks, keine Schnäppchenangebote, sondern nur Rackerei. Marathon ist kein Naturerlebnis, kein Tummeln auf der Wiese, erst recht kein Wellness-Schnickschnack. Vorausgesetzt, die Knochen halten, ist Marathon vor allem Einsamkeit.
Monatelang mache ich jeden Bissen, jeden Gedanken, jeden Satz, jeden Schritt nur mit dem Gedanken an die 42 Kilometer. Marathon ist die Klosterklause des 21. Jahrhunderts. Die Restkraft reicht gerade, um noch etwas Arbeit darzustellen.
Was
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