Bewegungswissenschaft
Muskelarbeit trägt entscheidend zur Verbreitung der Oberflächenelektromyografie und der Hoffmann-Reflex-Methode in der sportbezogenen Bewegungswissenschaft bei. Dennoch haben elektrophysiologische Untersuchungsmethoden nicht den besten Ruf. Die Ursachen liegen weniger in grundsätzlichen wissenschaftlichen, technologischen oder methodologischen Bedenken begründet, sondern vielmehr in den komplizierten Anwendungsvoraussetzungen, den nicht eindeutigen oder fehlenden Standards der Signalregistrierung, dem großen Zeitbedarf für die Signalanalyse und nicht zuletzt in der Gefahr der Fehl- oder Überinterpretation des Informationsgehalts biologischer Signale. Trotz der aufgezeigten methodischen Schwierigkeiten elektrophysiologischer Messverfahren und der eingeschränkten Gültigkeit elektrophysiologischer Befunde stellen die Oberflächenelektromyografie und die Hoffmann-Reflex-Methode die alleinigen wissenschaftlichen Untersuchungsverfahren zur Abschätzung der Muskelaktivität, der Muskelkräfte, der Reflex- und Nerventätigkeit oder der kortikalen und peripheren Anteile der Erregung der α-Motoneuronen dar (vgl. B AUMANN , 1989; G OLLHOFER & S CHMIDTBLEICHER , 1989; P OLLMANN , 1993).
1 Was ist von dieser Lektion zu erwarten?
Lektion 11 widmet sich den in bewegungswissenschaftlichen Lehrbüchern selten berücksichtigten neurobiologischen und messmethodischen Grundlagen elektrophysiologischer Untersuchungsverfahren wie der Oberflächenelektromyografie und der Hoffmann-Reflex-Methode. Zum besseren Verständnis der biologischen Voraussetzungen und der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten elektrophysiologischer Messverfahren erläutert Kapitel 2, was den passiven und aktiven Bewegungsapparat kennzeichnet und welche Formen der Muskelarbeit und der Muskelkontraktion die Sportbiologie unterscheidet. Abschließend veranschaulicht das Membranmodell die Bedingungen der bioelektrischen Erregbarkeit der Muskelfasern und der bewegungskontrollierenden Aktionspotenziale. Auf die spezifischen Anwendungsfelder und die registriertechnischen Voraussetzungen der Oberflächenelektromyografie geht Kapitel 3.1 ein. Die in Kapitel 3.2 vorgestellte Hoffmann-Reflex-Methode zielt auf die Untersuchung des Zusammenspiels kortikaler und peripherer Mechanismen der Bewegungskontrolle. Erläutert werden die Ableitung und die Auswertung des Hoffmann-Reflexes. Eine Zusammenfassung der Inhalte der Lektion 11 hält Kapitel 4 bereit.
2 Welche Begriffe sind grundlegend?
Das knöcherne Skelettsystem und die Knochenverbindungen, die so genannten Körpergelenke (Knorpel, Sehnen, Bänder), bilden den passiven Bewegungsapparat . Der Mensch besitzt einfache und zusammengesetzte Rotationsgelenke , bei denen der Abstand der verbundenen Skelettknochen konstant bleibt. Bei den einfachen Rotationsgelenken stehen zwei Gelenkteile miteinander in Kontakt (z. B. Schultergelenk, Hüftgelenk), während bei den zusammengesetzten Rotationsgelenken mehr als zwei Knochenelemente gelenkig miteinander in Verbindung stehen (z. B. Ellbogengelenk, Sprunggelenk). Das menschliche Skelettsystem verfügt über einachsige (Scharniergelenk: Oberarmellgelenk; Zapfengelenk: mittleres oberes Kopfgelenk), zweiachsige (Sattelgelenk: Daumengelenk) und dreiachsige Rotationsgelenke (Kugelgelenk: Schulter-, Hüftgelenk; vgl. Abb. 81 a bis d).
Abb. 81: Verschiedene Rotationsgelenke (mod. nach D E M ARÉES , 2003, S. 4)
a) Scharniergelenk, b) Zapfengelenk, c) Sattelgelenk und d) Kugelgelenk
Die Hauptaufgabe der Skelettmuskeln ( aktiver Bewegungsapparat ) besteht in der Umsetzung der im Adinosintriphosphat (ATP) chemisch gebundenen Energie in spezifische Bewegungsenergie. Die Muskelkraft bestimmt der Muskelquerschnitt, die Geometrie der Muskelfasern, die Kontraktionsgeschwindigkeit, die Muskelvorspannung und das Verhältnis von Fast-Twitch- (schnell kontrahierend, geringes Ausdauervermögen, anaerobe Energiegewinnung) und Slow-Twitch-Muskelfasern (langsam kontrahierend, niedrige Kraftentwicklung, aerobe Energiegewinnung; Überblick: W EINECK , 2004).
Die Sportbiologie unterteilt die Muskelarbeit in statische, dynamische, konzentrische und exzentrische Arbeitsformen (W EINECK , 2004).
Bei der statischen Muskelarbeit (verharrend) besteht zwischen den körperinneren und den äußeren Kräften ein Gleichgewicht. Charakteristisch ist die muskuläre Arbeit ohne Verkürzung des Skelettmuskels. Die statische Muskelarbeit dient der Sicherung der Körperhaltung und der Fixierung der
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