Beziehungswaise Roman
Staunen nicht heraus. Bucht auf Bucht auf Bucht auf Bucht auf Bucht. Jede eine eigene, kleine Welt. Wir fanden keine Anzeichen, dass hier je Menschen gewesen waren. Außer Robben, Möwen und dem Meer bewegte sich nichts, der totale Naturflash. Und dann Big Sur ... Da sitzt man auf einer Klippe, schaut über den stahlblauen Pazifik, hält die Hand seines Mädchens, lächelt im Februar der wärmenden Sonne entgegen, und zehn Meter vom Ufer entfernt zieht ein Rudel Delfine entlang. Kein Wunder, dass viele Amerikaner der restlichen Welt so verständnislos gegenüberstehen. Wer hier wohnt, verliert vermutlich leicht das Gefühl, die Restwelt noch zu brauchen.
Irgendwann kamen wir in San Francisco an und suchtenuns ein ruhiges Motel. Wir lebten ein paar Tage in einer der schönsten Städte, die ich je gesehen hatte. Eine Weile blieben wir an den Docks, fotografierten Alcatraz, fuhren ein paarmal über die Golden Gate, spazierten steile Straßen hoch, gondelten mit der Tram wieder runter und gaben einen Haufen Geld für Nepp aus. Als wir wieder in Newport Beach aufschlugen, um mit dem Brautpaar zu relaxen, bestand Stella darauf, uns Las Vegas zu zeigen – also machten wir uns auf den Weg durch die Wüste in die Spielerstadt. Während die drei die Casinos aufmischten, legte ich mich mit Fieber ins Bett. Ich kam rechtzeitig auf die Beine, um eine Show mit Billy Crystal zu besuchen. Ein weiterer Grund, über meinen Job nachzudenken: Früher freute ich mich, wenn ich gute Comedians sah.
Auf dem Rückweg verbrachten wir einen Tag in der Wüste – ein unbeschreibliches Erlebnis. Wie die ganze Reise. Eine einzige Reihe von Highlights, aber die höchsten Lichter waren die Autofahrten zu zweit. Stundenlang nur wir. Manchmal einen ganzen Tag ohne viele Worte, außer wenn Tess ihr Carpool-entry-Lied sang, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass wir in die Überholspur für Fahrzeuge mit mehr als einem Insassen wechseln könnten. Eine Fahrspur auf der man schneller fahren darf, wenn man nicht allein im Auto sitzt. Schneller vorankommen, weil man nicht allein ist ... I love Carpool-entry!
Und Tess. Dieser Monat hat mir wieder bewusster gemacht, dass ich sie nicht nur liebe – ich mag sie. Sie gefällt mir. Ich mag ihren Humor. Ihre Art, sich zu distanzieren, wenn sie genervt ist. Ich mag ihren Geruch. Ihr Lachen. Ihren Scharfsinn. Ihren Umgang mit Fremden. Ihre Neugierde. Ihre Rationalität. Ich liebe sie so bewusst, wie ich noch nie eine Frau geliebt habe. Ebenso bewusst ist mir, dass dreißig Urlaubstage hinter uns liegen, ohne dass wir miteinandergestritten oder geschlafen haben. Das hier war unsere Auszeit. Unsere Chance. Zu reden. Zu vögeln. Zu streiten. Zu verändern. Doch wie immer haben wir das gemacht, was wir am besten können, wenn wir zusammen sind – das Leben genießen. Einerseits war es der schönste Urlaub meines Lebens, andererseits landen wir in zwei Stunden in Deutschland, wo das normale Leben uns erwartet. Unser nicht vorhandener Alltag. Unser fehlender Sex. Sind so die Geschichten von Sex in den Flugzeugtoiletten entstanden? Waren das Langzeitpaare, die wenigstens einmal miteinander schlafen wollten, bevor der Urlaub vorbei war? Und die Flugzeugentführer, waren das Pärchen, die nicht in ihr ödes Leben zurückwollten? Wobei das auf uns nur bedingt zutrifft, denn Tess kann es kaum erwarten, wieder loszulegen. Nur ich hätte gegen eine Notlandung auf einer einsamen Insel nichts einzuwenden. Ich muss dringend etwas an unserem Leben verändern. Oder an meinem. Oder beides.
Ihre Hand liegt still auf meinem Bein. Als ich sie anschaue, lächelt sie schnell, doch nicht schnell genug, um zu verhindern, dass ich nicht noch den bedrückten Ausdruck in ihren Augen sehe. Sie klemmt sich eine widerspenstige Locke hinters Ohr und lehnt sich rüber.
»Wer liebt dich?«, flüstert sie.
»Hm, warte, du?«
Ihr Mund lächelt, doch ihr Blick ist ernst.
»Sehr.«
Sie drückt ihre warmen Lippen auf meinen Wangenknochen. Dann lehnt sie sich zurück, zieht meine Hand in ihren Schoß, schlägt ihr Buch auf und liest weiter. Nach einiger Zeit blättert sie eine Seite um. Scheinbar liest sie wirklich. Ich fange wieder an zu atmen. Noch eine Nacht, dann ist die Auszeit vorbei. Ab morgen führen wir wieder eine Wochenendbeziehung. Manche meinen ja, Distanzwürde eine Beziehung am Leben halten. So gesehen läuft es super mit uns.
Nach einer harten Landung taumeln wir in die Empfangshalle des Flughafens und schauen uns nach
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