Beziehungswaise Roman
Glasscheiben wir uns spiegeln. Zwei sonnenbebrillte Smokingtypen mit einem Bier in der Hand lehnen lässig an einer Stretchlimousine. Wäre ich nur halb so cool, wie das aussieht, würde ich jetzt ins Zimmer gehen und Tess vögeln, ob sie wach ist oder nicht. Ob sie Lust hat oder nicht. Ob sie Tess ist oder nicht. Unsere Geschichte vergessen. Unsere Probleme vergessen. Einfach ein notgeiler Mann sein, der eine attraktive Frau nimmt. Eine Zeit lang war ich froh, dass ich nicht ein solcher Mann war. Jetzt würde ich einiges geben, die Sache so angehen zu können. Zumindest für eine Nacht. Eine durchvögelte Nacht würde zwar nicht unsere Probleme lösen, aber sie zu lösen würde mehr Sinn machen.
Die Sonne steigt. Die Luft wird bereits heiß. Der Powerjogger humpelt den Weg zurück, den er gekommen ist. Der Dicke ist mittlerweile fast außer Sicht. Mein Bier ist alle. »Ich muss ins Bett.«
Er nickt. Wir umarmen uns. Sein Anzug riecht wie ein Partykeller am Morgen danach, und er wirkt angeschlagen. Kein Wunder, meine Beine sind aus Pudding, und dabei habe ich, im Gegensatz zu ihm, letzte Nacht noch ein paar Stunden schlafen können. Hochzeitsvorbereitung, Junggesellenabschied, Vermählung, Party – tagelang ohne Schlaf.
Das mit dem Sex in der Hochzeitsnacht muss ein Märchen sein.
Als er in den Wagen steigt, hält er kurz inne und grinst mich müde an.
»Alter, sorry, ich sag’s echt nicht gerne, aber wenn du es mit dieser Frau versaust, bist du ein Loser.«
»Danke«, sage ich und zeige ihm den Finger.
»Keine Ursache«, sagt er und steigt ein.
Die Autotür schließt sich, und ich sehe mich selbst in der verspiegelten Türscheibe. Ich, allein vor einem Motel, zeige mir den Finger. Eine Selbstprophezeiung?
Das Spiegelbild fährt los und nimmt die düstere Prognose mit sich. Ich wanke ins Motelzimmer und muss mich an die Wand stützen, während ich mich ausziehe. Tess liegt immer noch in derselben Stellung da. Das Gesicht von ihren Locken verdeckt, die Beine angewinkelt, den Po rausgestreckt. Wie oft kam ich früher nachts vom Job und sah sie so liegen. Jahrelang reichte dieser Anblick. Meistens weckte ich sie vorher. Manchmal dadurch. Die Erinnerungen lösen einen Funken aus. Da liegt sie. Sie mag es, genommen zu werden. Ich mag es, zu nehmen. Ich sollte es einfach tun. Sollte ich. Jetzt.
Jetzt!
...
Ich rutsche unter die Decke, schiebe ihr die Locken aus dem Gesicht und mustere sie. Ihre Pupillen sausen unter den Lidern hin und her. Ihr Mund ist angespannt. Sie stöhnt leise. Sie hat Albträume. Oft träumt sie vom Job. Dass sie versagt. Ihr schlimmster Albtraum.
Sie stöhnt wieder und spannt die Muskeln an. Die Fältchen um ihre Augen werden tiefer. Dann knirscht sie mit den Zähnen, dass einem die Haare zu Berge stehen. Ich lege ihr meine Hand auf den warmen Bauch, bewege sie langsam im Kreis und singe leise.
»La le lu ... nur der Mann im Mond schaut zu ...«
Sie schlägt die Augen auf und mustert mich benommen. »... wenn die kleinen Babys schlafen ... drum schlaf auch du ...«
Sie lächelt schwach, und ihre Körperanspannung lässt nach. Ich streichele sie weiter.
»La le lu ... vor dem Bettchen steh’n zwei Schuh ... die sind genauso ...«
Ich höre auf zu streicheln und lasse meine Hand auf ihrem Bauch ruhen.
»... müde ...«, flüstert sie.
Ich streichele weiter.
»... geh’n jetzt zur Ruh’ ... drum schlaf auch du.« »Liebe dich«, murmelt sie.
Sie greift meine Hand, dreht sich auf die andere Seite, kuschelt sich ins Kissen und drückt mir ihren Hintern entgegen. Wir gleiten ineinander, wie Paare seit Millionen von Jahren ineinanderrutschen. Ich presse mein Gesicht an ihren Nacken und atme ihre schläfrige Wärme ein. So viel Liebe, so wenig Leidenschaft.
Kapitel 2
»Vier Wochen später sind wir in der Luft. Wenn das Glück im Detail liegt, müsste ich glücklich sein, denn wir haben Notausgangsplätze erwischt, und mein Mädchen streichelt mein Bein, während sie ein Buch über Kommunikationsstrategien liest. Ich schaue einen Film im Bordkino, hinke aber der Handlung hinterher, weil ich die Bilder des schönsten Urlaubs meines Lebens noch mal vor meinem inneren Auge ablaufen lasse. Während wir den Hochzeitskater auskurierten, verpasste uns das Brautpaar das volle Touriprogramm: Hollywood, Huntington Beach, Universal Studios, Seaworld, Hearst Castle. Danach fuhren Stan und Stella in eine Flitterwoche und wir die Route 1 hoch, Richtung San Francisco – und kamen aus dem
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