Beziehungswaise Roman
Wie so oft, erholt sie sich zuerst. Sie lehnt sich an mich, lächelt zu mir hoch und bläst sich eine Locke aus der Stirn.
»Eine schöne Hochzeit.«
»Großartig«, sage ich und bete, dass sie mich jetzt nicht fragt. Ich weiß nicht, was ich dann sage, ich weiß es einfach nicht.
»Ich bin froh, dass wir hier sind«, sagt sie stattdessen.
»Ja«, sage ich erleichtert. »Schön, dass du dir freinehmen konntest.«
Kaum sind die Worte raus, beiße ich mir auf die Unterlippe. Gott, ich kann es einfach nicht lassen. Sie mustert mich. Ihre blauen Augen sind ausdruckslos. Für einen Moment befürchte ich, dass ich den Augenblick zerstört habe, doch wieder erholt sie sich schnell und lächelt.
»Wow, hör mal, Liebster – unser Lied!«
Sie schnappt meine Hand, zieht mich lachend zur Tanzfläche, und schon tanzen auch wir zu diesem unsäglich beschissenen Remix. War was? Nein. Unser zweitgrößter Konflikt wurde nur soeben gelüftet. Aber wir lassen uns nichts anmerken, sonst müssten wir über den größten reden. Und das können wir mittlerweile richtig gut – nicht reden. Ist das die Kunst einer langen Beziehung – die guten Dinge abzufeiern, die schlechten zu ignorieren?
Wir tanzen. Neben uns wirbelt Stan seine Braut herum. Zwischendurch kommen Hochzeitsgäste vorbei und verabschieden sich. Irgendwann tanze ich mit Stella, dann wieder mit Tess, dann mal mit Stan, und als würde das dem DJ zu viel werden, geht er auf die Bremse, macht einen U-Turn und legt eine schmachtige Barry-White-Nummer auf, zu der man definitiv nicht mit einem frisch gebackenen Bräutigam tanzen kann, ohne seine Ehe in Verruf zu bringen. Also schnappe ich mir mein Mädchen. Sie schiebt sich die Locken mit beiden Händen hinter die Ohren, legt ihre Handflächen auf meine Brust und lächelt zu mir hoch. Ich weiß nicht, wie oft wir früher wegen dieses Lächelns Sex hatten, und auch jetzt, nach all der Zeit, kann es sie noch fremd und geheimnisvoll erscheinen lassen. Sofort entzündet ein Eroberungsfunke, doch bevor ich etwas unternehmen kann, wird sie mir wieder vertraut, und der Impuls verflüchtigt sich. Sie legt ihr Gesichtin meine Halsbeuge, knabbert an meinem Hals und drückt ihre Brüste gegen mich. Ich habe sie schon lange nicht mehr so offensiv erlebt. Vielleicht schaffen wir es ja heute Nacht, diese Energie mit ins Bett zu retten. Unsere große Chance, auch mal Sex in einer Hochzeitsnacht zu haben.
Die Musik geht aus. Wir schieben uns weiter über die Tanzfläche und schauen uns um. Die Musik bleibt aus. Schließlich bleiben wir stehen und blinzeln zum DJ-Pult hoch, wie Maschinen, deren Programmierung gelöscht wurde. Das Pult ist leer. Die Deckenlichter gehen an. Tess stöhnt und vergräbt ihr Gesicht wieder an meinem Hals. Ich wende mein Gesicht Stan zu, der neben mir steht und Stella anlächelt.
»Was geht ab?«
»Die machen zu«, sagt er, ohne den Blick abzuwenden. »Die ... was?! In dieser Stadt gibt es mehr Koks als in Kolumbien, und der Laden schließt vor Sonnenaufgang?« »Mir passt das ganz gut, ich habe Ehepflichten.«
Er lächelt Stella an. Sie lächelt ihn an. Tess schmiegt sich an mich. Ich lächele.
Als wir in die Morgendämmerung hinaustaumeln, warten zwei Stretchlimousinen direkt vor dem Clubeingang. Stan steckt die paar übrig gebliebenen Gäste in die eine Limousine, dann steigen wir zu viert in die andere. Ich mache es mir auf einer der Sitzbänke bequem. Tess setzt sich neben mich, zieht die Beine an und kuschelt sich an mich. Stella macht den Fernseher an, Stan steckt den Kopf durchs Trennfenster und sagt etwas zu dem Fahrer. Der Wagen setzt sich in Bewegung. Stan fährt die Trennscheibe hoch, holt vier Corona aus der Minibar und reicht zwei rüber. Ich drehe die Deckel ab, reiche Tess eines und dann prosten sich zwei Pärchen zu.
»Auf das Ehepaar.«
»Ehepaar«, sagt Stan und schaut seine Frau an.
Ich habe ihn noch nie so schauen sehen. Vielleicht schaut man ja erst so, wenn man heiratet. Vielleicht werde ich es mal selbst herausfinden. Tja.
Tess bohrt ihre kühle Nase hinter mein Ohr.
»Wir sind zusammen im Urlaub«, flüstert sie.
Ich nicke.
»Wir fahren in einer Stretchlimousine durch L.A.« Ich nicke.
»Wer liebt dich?«
»Du?«
Sie nickt an meinem Ohr. Ihre Haare kitzeln. Sie küsst mich auf den Wangenknochen, dann legt sie ihre Stirn auf meine Brust, rutscht auf der Suche nach einer bequemen Lage immer tiefer und bleibt schließlich mit ihrem Gesicht in meinem Schoß liegen. Sie
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