0302 - Der Unhold
Sie lauerte.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es in dieser Nacht nicht glatt gehen würde. Mein Blick senkte sich und glitt in den nächsten Sekunden über die schwarze Wasserfläche dem Ufer entgegen.
Als ich mich bewegte, knarrte auch das Ölzeug, in das ich mich eingepackt hatte, und Suko fragte: »Willst du nicht endlich weiterrudern, John?«
»Später.«
»Er hat es mal wieder nicht nötig«, mäkelte Mandra Korab, der Inder. Er hockte neben Suko und stach an der Backbordseite das Paddel in die Fluten.
Ich hätte meine Freunde gern unterstützt. In diesen Augenblicken jedoch ließ ich mich von meinen Gefühlen leiten, die sehr stark ausgeprägt waren, denn meine Nerven reagierten wie feinfühlige Sensoren.
Mein Blick glitt nach Osten.
Dort lag das Festland und auch eine Stadt, die einen verdammt schlechten Ruf besaß.
Neapel!
Jetzt, mitten in der Nacht, brannten nur wenige Lichter. Auf den Hügeln, nahe der Stadt, wo die Villen der reichen Neapolitaner lagen, schimmerten sie vereinzelt und sahen aus wie weit entfernte Sterne. Darunter, dem Meer entgegen, ballte sich die Schwärze.
Man hatte uns gesagt, daß es lebensgefährlich wäre sich des Nachts im Golf von Neapel zu bewegen. Aber so etwas waren wir gewohnt. Mit jedem Fall, den wir angingen, setzten wir gewissermaßen unser Leben aufs Spiel.
In der letzten Nacht, die wir ebenfalls auf dem Wasser verbracht hatten, war nicht viel geschehen, und ich hoffte, daß diese Nacht vielleicht einen Erfolg bringen würde.
Ich drehte mich um und griff zum Ruder.
Die Gesichter meiner beiden Freunde schimmerten blaß. Suko und Mandra hatten ihre Körper ebenso in dunkles, wasserdichtes Ölzeug gepackt wie ich.
»Wurde auch Zeit«, maulte der Inspektor.
»Du hättest ja schneller rudern können«, erklärte ich.
»Man nennt das die Anschlagszahl erhöhen«, korrigierte er mich und stach gemeinsam mit Mandra das Ruder ins Wasser.
Ich paßte mich dem Rhythmus der beiden Freunde an, und wir änderten auch unseren Kurs. Nicht mehr nach Osten wollten wir uns bewegen, sondern nach Norden, damit wir an den Rand der Bucht gerieten, denn diese Gegend hatten wir uns noch nicht ansehen können.
So sehr wir bemüht waren, die Ruder leise ins Wasser zu tauchen, so intensiv schauten wir auch über die düstere Wasserfläche, ob nicht doch irgend etwas zu sehen war.
Mein Gefühl wollte einfach nicht weichen…
In der Brust spürte ich die leichte Beklemmung. Ein Reifen schien sich um meine Lungen gelegt zu haben, denn mir fiel das Atmen schwer.
Da mußte etwas sein. Aber wenn ich zum Ufer schaute, sah ich kein einziges Licht in der Finsternis blinken. Alles verschwamm in dieser tintigen Schwärze, die sich wie ein Zelt über uns gestülpt hatte.
Schatten überall.
Schatten, wohin man schaute…
Schatten?
In meinem Hirn klickte etwas. Da war ein verdammt großer Schatten, der sich vor uns aus dem Wasser hob, und meine Freunde hatten es im selben Augenblick bemerkt.
»John, das kann er…«
Suko sprach nicht mehr weiter, denn die Worte schienen regelrecht in dem grellen Lichtkegel zu explodieren, der uns plötzlich umgab. Aus der Schwärze vor uns stach er hervor, wie ein gewaltiges breites Messer aus gelbem Licht, und in seinem Zentrum, das kegelartig über uns fiel, befand sich das kleine Schlauchboot.
Wir hatten aufgehört zu rudern, duckten uns und rissen die Arme hoch, um unsere Augen vor der Blendung zu schützen. Der Übergang von der Schwärze in die Helligkeit war einfach zu brutal gewesen. So rasch hatten sich die Augen nicht umstellen können.
Eine Stimme hallte über das Wasser und erreichte unsere Ohren.
Sie war durch ein Megaphon verstärkt worden. Leider redete der Sprecher nicht in meiner Heimatsprache, und so fiel es mir schwer, die Worte zu verstehen. Nur einige Brocken bekam ich mit.
Er sprach von einem Widerstand, der zwecklos war, und die nachfolgenden Sätze begriff ich überhaupt nicht. Da wir nicht reagierten, machte man uns auf drastische Weise klar, was man von uns erwartete.
Es wurde geschossen. Schallgedämpft.
Wir hörten die Schüsse selbst nicht, aber wir spürten die Treffer.
Die Burschen zielten verdammt gut, denn die Kugeln hieben in den dicken Gummiwulst des Schlauchboots und zerstörten ihn.
Mandra, Suko und ich hatten uns flachgemacht. Meine Stirn hatte ich von innen gegen den Wulst gepreßt. Ich wartete förmlich darauf, daß ein Geschoß den Wulst durchschlug und in meinen Körper hämmerte.
Es geschah nicht,
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