Bianca Spezial Band 8
vergeblich. Zum dritten Mal lief sie nun schon ins Badezimmer, um dort ebenfalls zum dritten Mal im Spiegel ihr Aussehen zu überprüfen. Sie zog sich die Spange aus dem Haar und bürstete es durch, um es anschließend wieder hochzustecken.
Nein, dachte sie. Ich lasse es doch lieber offen.
Erneut zog sie die Spange heraus. Ja, so war es heute besser. Sie wirkte lieblicher, wenn das Haar ihr Gesicht sanft umspielte. Nun sah sie schon nicht mehr so müde und abgekämpft aus, wie sie sich fühlte. Sicherheitshalber legte sie noch etwas Lipgloss auf.
Da – ein Geräusch. Libby lauschte, ob es Colleen war, und schaute dann im Kinderzimmer nach. Doch ihre Tochter hielt immer noch Mittagsschlaf. Colleens dunkles, seidiges Haar war an den Schläfen ein wenig feucht, als würde sie schwitzen. Libby schwitzte auch. Und zwar am ganzen Körper.
Es war kurz nach vier an einem Freitagnachmittag. Dieser Mann – Brady Buchanan – hatte ihr gesagt, sein Flug würde um Viertel vor drei landen. Dann müsste er sich erst mal einen Mietwagen organisieren und bei dem Motel vorbeischauen, das er gebucht hatte. Danach würde er gleich zu Libby weiterfahren.
Und dann wäre er da. Mit einem kleinen Mädchen namens Scarlett.
Libby klammerte sich immer noch an der Hoffnung fest, dass sich das Ganze als großer Irrtum herausstellen würde. Sie hatte mit ihrer Tochter Colleen an diesem Babywettbewerb teilgenommen, und Colleen hatte gewonnen. Dann hatte Brady ihr Bild auf der Titelseite der Elternzeitschrift entdeckt, die den Wettbewerb organisiert hatte. Auf dem Foto sah sie seiner eigenen Tochter Scarlett zum Verwechseln ähnlich, fand er. Als wären sie … Zwillinge?
Nun denn, so abwegig war der Gedanke gar nicht. Schließlich hatten Libby und er die Kinder beide aus demselben Waisenhaus in Vietnam adoptiert.
Als Brady Buchanan vor vier Tagen anrief, hatte Libby zunächst keine Ahnung gehabt, wovon der fremde Mann am anderen Ende der Leitung da eigentlich sprach. Sie hatte das erst für einen Telefonstreich gehalten.
Doch dann änderte sich Mr. Buchanans Tonfall plötzlich, und seine tiefe, raue Stimme wurde sanfter. „Entschuldigen Sie, Sie wissen gar nicht, wovon ich rede, stimmt’s?“, sagte er vorsichtig. „Vielleicht glauben Sie mir auch nicht. Okay, das kann ich verstehen. Aber es stimmt, was ich sage. Jedenfalls muss es einfach so sein.“
„Was stimmt?“
„Dass das Kind aus einem Waisenhaus kommt.“
„Woher wissen Sie …“ Plötzlich hielt sie inne, aus Angst, zu viel zu verraten. Wenn es um die Herkunft ihrer geliebten Tochter ging, war Libby sehr vorsichtig – obwohl die Adoption in Übereinstimmung mit dem internationalen Adoptionsrecht über die Bühne gegangen war.
Doch als Brady Buchanan weitersprach, musste sie ihm einfach zuhören und sich auf seine Fragen einlassen, die so viele Erinnerungen in ihr wachriefen. Offenbar war er selbst sehr bewegt und hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. Seine Sätze klangen ein wenig ungelenk.
„Erinnern Sie sich noch an den Sand am Strand von My Khe, der so weiß war?“, fuhr er fort. „Oder an das tolle Essen, die Fische und Meeresfrüchte? Dort haben Sie doch Ihre Tochter her, oder? Aus dem Waisenhaus außerhalb von Da Nang?“
„Ja. Ja, das stimmt“, erwiderte Libby mit bebender Stimme.
„Meine Tochter stammt auch von dort.“
„Das … das kann doch nicht wahr sein!“
„Das ist es aber, Mrs. McGraw.“
Sie hatten dann noch fast zwanzig Minuten telefoniert und schließlich entschieden, sich zu treffen – sobald Brady Buchanan seine Arbeit ruhen lassen konnte, um zu Libby nach Minnesota zu kommen.
Was er wohl für ein Mann war? Und was er wohl unternehmen wollte, wenn sich herausstellen sollte, dass die Mädchen tatsächlich Zwillinge waren? Vier Tage und vier schlaflose Nächte lang hatte sich Libby schon das Gehirn darüber zermartert.
Nun hatte sie eine Heidenangst vor dem Zusammentreffen!
In diesem Moment meldete sich Colleen, die gerade aus dem Mittagsschlaf erwacht war – weinend, wie so oft. Als Libby die Treppe zum Kinderzimmer hinauflaufen wollte, klingelte es, und sie wusste, dass er nun angekommen war.
Brady Buchanan.
Der Mann mit der tiefen, rauen Stimme, in der so viel Gefühl lag.
Der Adoptivvater des Mädchens, das vielleicht – ganz vielleicht – der Zwilling ihrer Tochter Colleen war.
„Ich komme gleich“, rief sie zur Haustür hinüber und eilte zu Colleen. Das Mädchen stand im Kinderbett, hatte das Gesicht
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