Bianca Spezial Band 8
Ewigkeit vor.
Die junge Frau schien sogar noch nervöser zu sein, als er sich selbst fühlte. Und das sollte schon etwas heißen, weil ihn die Anspannung so fest in ihrem Würgegriff hielt, dass er kaum atmen konnte.
Lisa-Belle McGraw schmiegte den dunklen Lockenkopf ihrer Tochter Colleen gegen die Wange, liebevoll und beschützend zugleich.
Eigentlich hatte Brady damit gerechnet, dass sie die Mädchen erst nebeneinandersetzen müssten, um festzustellen, wie ähnlich sich die beiden tatsächlich sahen. Aber nun war ihm klar, dass das nicht nötig war.
Die Art, wie Colleen sich bewegte, ihre Mimik … Abgesehen von ihrer Kleidung, glich sie in allem haargenau seiner Tochter Scarlett. Er wusste, dass Colleen weinend aus dem späten Mittagsschlaf erwacht war, weil es bei Scarlett auch immer so war. Und sie sah dann auch genau so aus: rot und etwas zerknautscht, traurig und reizbar. Er wusste auch, dass sie sich noch eine ganze Weile an ihrer Mutter festklammern würde, um hin und wieder das Gesicht an ihrer Schulter zu bergen.
Wie jetzt zum Beispiel …
Es war geradezu unheimlich, dieses Gefühl, dass er das kleine Mädchen dort schon längst kannte. Ihm zog sich das Herz zusammen, unwillkürlich musste er daran denken, wie Stacey und er sofort das Gefühl hatten, dass Scarlett zu ihnen gehörte, sobald sie in Staceys Armen lag.
„Das hier euer Baby“, hatte die Mitarbeiterin des Waisenhauses in gebrochenem Englisch gesagt, und sie hatten das kleine Mädchen sofort ins Herz geschlossen. Lag es da nicht nahe, dass Brady nun für ihre Zwillingsschwester Colleen das Gleiche empfand? Die Sache hatte bloß einen Haken: Colleen hatte bereits ein Zuhause, hier in St. Paul.
Wie sollten sie bloß mit dieser vertrackten Situation umgehen?
Scarlett hatte schon früh Mittagsschlaf gehalten, deshalb saß sie jetzt putzmunter auf seinem Arm. Wenn Brady sie absetzte, würde sie bestimmt in halsbrecherischem Tempo durch das Haus wackeln, um jeden Winkel zur erkunden. Brady vermutete, dass das Mrs. McGraw auch klar war. Ebenso, wie er ihr Kind schon kannte, kannte diese Fremde seine kleine Tochter. Ob sie wohl ebenfalls gerade seine Scarlett ins Herz schloss?
Lisa-Belle McGraw betrachtete Scarlett noch einmal intensiv, dann fuhr sie sich mit den Schneidezähnen über die Unterlippe. Schließlich wiederholte sie ihre Worte von vorhin und klang dabei sogar noch eine Spur nervöser: „Kommen Sie doch herein, bitte!“
Sie stieß die Haustür noch ein Stück weiter auf. Bei dieser Bewegung spannte sich der dünne Stoff ihres rosa und blau gemusterten, ärmellosen Oberteils über ihren Brüsten. Sie war zierlich und hatte eine hübsche Figur mit Rundungen an den richtigen Stellen.
Brady tat einen Schritt nach vorn und nahm zum ersten Mal ihren Duft wahr: süß wie Flieder nach einem sanften Sommerregen und gleichzeitig frisch und berauschend. Es erinnerte ihn an …
Nein. Halt!
Schluss mit den romantischen Vergleichen. Die Wirkung dieser Frau hatte überhaupt nichts mit Flieder und Sommerregen zu tun, es war vielmehr ein Schlag in die Magengrube, ein Fallstrick in seinem Weg. Dass er auf Lisa-Belle McGraw als Mann reagierte, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet, und er konnte so etwas auch ganz und gar nicht gebrauchen. Es war … so primitiv. Unlogisch, untypisch. Und möglicherweise sogar fatal.
Genauso etwas hatte er schon mal erlebt, mit Stacey, als er noch zu jung war, um es besser zu wissen. Damals war er so verrückt nach ihrem Körper, dass er sich niemals die Mühe gemacht hatte, herauszufinden, wer sie eigentlich war. Und als er schließlich erkannte, auf wen er sich da eingelassen hatte, da war es schon zu spät. Diesen Fehler durfte Brady nicht noch einmal machen, schon gar nicht jetzt. Schließlich ging es hier um etwas ganz anderes. Es ging um etwas, das viel wichtiger für sein seelisches Gleichgewicht war als die Anziehungskraft, die von einem schönen Frauenkörper ausging. Und ganz offenbar war Mrs. McGraw viel besser bei der Sache als er.
„Wenn meine Nachbarn uns hier sehen und ahnen, was los ist …“, begann sie. „Wissen Sie, ich möchte noch niemandem hiervon erzählen. Wir müssen erst mal darüber reden, was das Ganze bedeutet, was wir jetzt eigentlich tun wollen. Und ich … ich habe so eine Ahnung, dass das nicht einfach wird.“
„Da haben Sie wohl recht“, stimmte Brady ihr zu, und seine tiefe Stimme klang schroff. Dann ging er ihr voran ins Haus, weg von ihrem Duft, der ihn eben
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