Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
Plattenweg, der parallel zur weiß glitzernden Kiesauffahrt verlief, auf die andere Seite des Hauses.
Hier war der Garten ebenfalls fast überwuchert von Blumen. Als Joslyn stehen blieb, um sich umzuschauen, konnte sie das Summen der Bienen und fröhliches Vogelgezwitscher hören. Einen Moment lang kam sie sich wie Dorothy aus dem Film „Der Zauberer von Oz“ vor, die von einem Wirbelsturm aus einer Welt in Schwarzweiß in eine atemberaubend farbenprächtige getragen wird.
Bis auf ein geschmackvolles Holzschild, das mit einer Messingkette an einem schmiedeeisernen Balken hing – „Shepherd Real Estate, das ortsansässige Immobilienbüro“ –, sah alles so aus wie damals, als Joslyn noch hier gewohnt hatte.
Vier Säulen stützten das Vordach, und die Kreuzstockfenster, die man kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem englischen Landhaus gerettet hatte, glitzerten in der Sonne wie unzählige diamantenförmige Spiegel. Das Eingangstor aus Mahagoni war verziert mit handgeschnitzten Blättern, Vögeln, Einhörnern und unterschiedlichsten Ornamenten. Ein schwerer Türklopfer aus Messing in Form eines Löwenkopfes passte perfekt zu dem feudalen Stil des großen Ganzen.
Nachdem sich Joslyn vor weiteren aufwühlenden Erinnerungengewappnet hatte, versuchte sie den Türknauf zu drehen. Er bewegte sich.
Sie schob die Tür auf und trat in die schattige Kühle der riesigen Eingangshalle, die sich über zwei Etagen nach oben erstreckte. Das laute, hallende Ticken der massiven, großen Standuhr erfüllte den Raum.
Durch die Oberlichter fiel buntes Licht; zwei prachtvolle Treppen führten links und rechts hinauf in den ersten Stock. Über die Treppe zur Linken gelangte man in jenen Trakt des Hauses, in dem früher Joslyns Zimmer – in Wahrheit eher eine Suite – gewesen war. Zusätzlich hatte es mehrere große Gästezimmer und ein eigenes Wohnzimmer mit Kamin gegeben. Die rechte Treppe führte hinauf zu der Mastersuite samt dem geradezu dekadent geräumigen Bad, einem richtigen Festsaal und einer ebenfalls nicht gerade kleinen Bibliothek.
Joslyn machte wie hypnotisiert einen Schritt in Richtung Treppe. Doch dann zwang sie sich, stehen zu bleiben.
Dies hier war nicht mehr ihr Zuhause. Es gehörte jetzt Kendra, entsann sie sich.
Ja, Kendra war ihre Freundin – wahrscheinlich sogar ihre beste Freundin. Allerdings bedeutete das nicht, dass Joslyn in diesem alten Haus herumschnüffeln durfte, um zu sehen, was sich in den Jahren seit ihrem Auszug verändert hatte und was nicht.
Sie warf einen verstohlenen Blick in das Wohnzimmer – Elliott hatte es immer als den „Salon“ bezeichnet –, und stellte fest, dass Kendra den Platz gut genutzt hatte. Es gab zwei Schreibtische, beides antike Stücke und beide mit Computern sowie modernen Telefonen ausgestattet. Die Bücherregale links und rechts neben dem Kamin aus grau-weißem Marmor waren übervoll mit Ordnern, wirkten sonst aber ordentlich.
Auf dem eleganten runden Tisch in der Mitte des Raumes glitzerte eine Kristallschale, in der eine schöne rosa Orchidee schwamm.
Joslyn blinzelte, und für den Bruchteil einer Sekunde war der Raum wieder so, wie sie ihn in Erinnerung hatte: ein fröhliches Chaos. Die Regale waren vollgestopft mit Büchern und DVDs,und links und rechts neben dem Kamin standen zwei riesige Sofas mit beigefarbenen Cordbezügen. Spunky, der Cockerspaniel, bellte freudig, als wollte er Joslyn nach langer Abwesenheit endlich wieder begrüßen.
Joslyn blinzelte ein zweites Mal, und natürlich war alles verschwunden.
Sie, ihre Mom und Opal hatten Spunky in jener Nacht ihrer Flucht mitgenommen, und er hatte ein erfülltes langes Leben gehabt.
Joslyn schüttelte das wehmütige nostalgische Gefühl ab und betrat den Raum. In einer Ecke befand sich eine gemütliche Sitzgruppe. Kunden warteten hier, wie Joslyn erleichtert bemerkte, jedoch nicht. Sie fand, sie hatte – zumindest, was ihre Freundin betraf – ihre Pflicht getan. Zumindest fürs Erste.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und floh regelrecht aus dem Haus, in dem die Geister ihrer verwöhnten Jugend zu spuken schienen. Dann lief sie zurück zum Gästehaus, um ihr Portemonnaie und die Autoschlüssel zu holen. Sie musste unbedingt kochen – genauso wie das Lesen war die Zubereitung ihrer Lieblingsgerichte und das Ausprobieren neuer Rezepte eine Form von Selbsttherapie für Joslyn –, was bedeutete, dass sie zum Supermarkt musste.
Der Kies knirschte unter den Reifen ihres Wagens, während sie auf
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