Big U
die meist nicht wußten, wie sie mit ihm umgehen sollten, seine Vorträge. Sein Name war Bert Nix. Er war ganz vernarrt in Sarah; sie wiederum war nicht sicher, ob sie Angst vor ihm haben sollte oder nicht. Während der Wahl zum Studentenausschuß im vergangenen Frühjahr hatte Bert Nix mit Sarah für ein Werbefoto posiert, das als Plakat im gesamten Plex aufgehängt worden war. Genau so etwas betrachteten die Studenten der Megaversität als Zeichen für Größe, daher hatte sie trotz progressiver politischer Ansichten gewonnen, von denen, wie sich herausstellte, niemand etwas wußte. Es fiel Sarah schwer, das alles zu glauben. Ihr schien es, als wäre Bert Nix zum Studentenvorsitzenden gewählt worden, und nicht die Frau neben ihm auf dem Wahlkampfplakat, daher fühlte sie sich verpflichtet, ihm zuzuhören, auch wenn er nur stundenlang vor sich hin brabbelte. Er war ein netter Irrer, lebte aber voll und ganz im Bert-Nix-Universum, und das erfüllte Sarah in tiefster Seele mit Furcht.
Casimir schenkte dem Betrunkenen kaum Beachtung, Sarah dafür aber um so mehr. Er konnte nicht anders, denn in den sechs Stunden, die er an der Big U verbracht hatte, schien sie ihm das erste nette menschliche Wesen, Konzept oder Ding zu sein, das er gefunden hatte. In den zehn Jahren, die Casimir gespart hatte, damit er sich diese Ausbildung leisten konnte, hatte er sich in seiner Phantasie ausgemalt, wie es sein würde, damit er nicht den Verstand verlor. Leider hatte er sich leise Gespräche mit alten Professoren beim Brunch ausgemalt, profunde Diskussionen in den Waschräumen und überall atemberaubende, feinfühlige Menschen, die nur darauf warteten, neue Freundschaften zu schließen. Gefunden hatte er dann natürlich die Amerikanische Megaversität. Es gab nur eine Erklärung für die hier vorherrschende Stimmung, die er bereit war, zu akzeptieren: daß diese Leute zivilisiert waren und nur eine Parodie der Drangsale des Lebens an der High School aufführten, eine Parodie, deren Sinn Casimir bis jetzt nur noch nicht begriffen hatte. Die logischste Erklärung – daß dies alles wirklich so war –, war so gräßlich, daß sie ihm noch nicht mal in den Sinn gekommen war.
Als er ihr Foto auf der Rückseite der Semesterbeginn-Ausgabe des Monoplex Monitor sah und die Legende las, die sie als Sarah Jane Johnson auswies, Vorsitzende des Studentenausschusses, sah er wie der letzte Trottel zwischen ihr und der Fotografie hin und her. Er wußte, daß sie wußte, daß er jetzt wußte, wer sie war, und das war keine gute Ausgangsbasis für eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Er konnte nur ein Riesentheater darum machen, daß er über sie im Monitor las, und darauf warten, daß sie den ersten Schritt unternahm. Er nickte nachdenklich angesichts der entstellten Zitate und übertriebenen Vereinfachungen in dem Artikel.
Sarah bekam das alles mit: Sie hatte gesehen, wie er die Zeitung langsam und gründlich durchblätterte, und wartete von gelindem Grauen erfüllt, bis er zur Rückseite kommen, ihr Foto sehen und etwas Peinliches sagen würde. Statt dessen las er den Artikel tatsächlich – was noch peinlicher war –, aber bevor er das Ende der Seite erreichte, kam der Student vor Sarah herausgestapft, und Sarah selbst fühlte sich vom Blick der azurblauen Augen der Chefbürokratin der natur-und geisteswissenschaftlichen Fakultät aufgespießt. »Wie«, fragte Mrs. Santucci spröde, »kann ich Ihnen helfen?«
Mrs. Santucci war höflich. Ihre Entschlossenheit, anständig zu sein und alle Angelegenheiten anständig zu erledigen, glich der aller iranischen Revolutionsgardisten zusammen. Ihre Politik des Erstschlagverzichts bedeutete, so lange wir objektiv und höflich waren, würde jede Konversation angenehm auf geschmierten Eisenschienen in eine Grube der Verzweiflung hineingleiten. Jeder Erstschlag unsererseits, jede Bemerkung, die diese sechsundzwanzigjährige Großmutter und Simultanspielerin von zwei Dutzend Bingokarten als unangemessen empfand, würde massive Vergeltungsschläge nach sich ziehen. Sarah kannte sie. Sie stand sittsam auf, ging zum ersten Stuhl der Reihe und sah Mrs. Santucci über einen kahlen Schreibtisch hinweg an.
»Ich bin hier im letzten Studienjahr. Ich hatte das Glück, für diesen Herbst ein Apartment außerhalb des Plex zu bekommen. Als ich heute dort eintraf, stellte ich fest, daß der gesamte Gebäudeblock vom Gesundheitsamt für acht Monate geschlossen wurde. Ich ging zur Wohnraumverwaltung. Als ich dort
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