Biker's Barbecue (German Edition)
deshalb, weil wir nicht hinterrücks von allzu vielen Autos überfahren werden wollen. Die Räder scheppern und knarzen wie nie zuvor. Werden sie wirklich bis zur Brücke halten?
Nachdem Stefans hintere Felge tatsächlich langsam auseinander reißt, mach ich mir ein bisschen Sorgen, dass er irgendwann ungebremst und laut schreiend an mir vorbeischießt.
Wir erreichen Mill Valley, wo wir in Form von Bagels mit Cream Cheese ein letztes Galgenfrühstück zu uns nehmen. Danach geht’s auf einem holprigen Radweg entlang der viel befahrenen Einzugsstraße durch salzig-matschiges Sumpfland in Richtung Golden Gate. In dicken Schwaden zieht auf einmal intensiver Meergeruch über die Straße.
Können die denn keinen ordentlichen Radweg hier hinbauen? Was, wenn mein Rad auf den letzten Metern doch noch eingeht?!
Noch sind wir nicht da. Der letzte Hügel, eine letzte Steigung. Auf dem Gegenhang sieht man die vierspurige 101. Und da – da versteckt sie sich hinter einem Berg. Wie ein albernes Monster lugt sie aus dem Nebel hervor. Godzilla – nein, die Golden Gate Bridge.
Endlich! Im Nebel die ersten blassen Pfeiler unseres lang ersehnten Ziels. Ein Bild, das mir jedes Mal leuchtend orange durch den Kopf gegangen ist, wenn ich mich auf einer besonders langen Steigung in den Lenker gekrallt, im strömenden Regen gegen den Wind oder einfach gegen meine eigenen Zweifel oder meine Ungeduld gestemmt habe.
Erleichtert fallen wir einander in die Arme. Aber so richtige Champion-Stimmung will nicht aufkommen. – Vielleicht fehlt ja nur die passende Musik. Alles läuft viel profaner ab, als ich es mir gewünscht hatte: kein Mautticket, weil Radfahrer gratis fahren dürfen (sonst drei Dollar). Eine Horde Mexikaner, die auf dem Plateauparkplatz vor der Bucht lautstark Souvenir-T-Shirts verkaufen. Und eine Brücke mit Plakateffekt: Je weiter weg, desto schöner.
War das das Ziel? Ich habe es nicht begriffen, begreife es noch immer nicht. – Über die Bucht fahren wir trotzdem.
Schmucklose letzte Minuten. Kälte, Feuchtigkeit, Pendlerverkehr, Fußgängerhorden, das Ortsschild von San Francisco mitten auf der Brücke – das war’s. Wir sind da.
Die Gedanken und Anstrengungen der letzten 67 Tage sind Geschichte. Einfach so. Ein großer Schritt für uns – aber für die Menschheit? Niemand bekommt es mit. Zu viel Lärm hier. Niemand fragt uns. Warum auch? Insgeheim sehne ich mich zurück. Nach Iowa. Oder Wyoming.
Es ist alles so anders, als ich es mir vorgestellt habe. Auf Eskimo Hill, da hatte ich noch Emotionen. Hier ist es dafür zu kalt. Ob die Reaktion noch kommen wird? Irgendwann vielleicht. Nicht heute. Ich habe alles verdrängt – ich kann es nicht fassen, nicht einmal darüber nachdenken.
Glücklicherweise haben wir den ganzen Tag Zeit, uns ein Quartier für die Nacht zu suchen. Zu den üblichen Problemen kommen hier nämlich noch zwei neue dazu. Erstens: Wir sind in einer Metropole mit mehr als einer halben Million Einwohnern. Das heißt, wir sind nicht die Einzigen in dieser Gegend, die nachts gern ein Dach überm Kopf hätten. Zweitens: Wir hatten eigentlich vor, ungefähr eine Woche in dieser Stadt zu bleiben und nicht gleich morgen wieder dem Leitfaden irgendeiner neuen Mission nachzulaufen. Es gibt keinen Faden mehr. Und die Mission heißt: entspannen, erholen und einfach zufrieden mit sich selbst sein.
An der Brückenabfahrt treffen wir Jesse, den Schriftsteller. Als wir ihm unsere Geschichte erzählen, bietet er uns spontan an, bei ihm zu wohnen: Am Freitag fliegt er nach New York, aber bis dahin sind es ja noch zwei Tage … – Das Glück bleibt uns also auch am Ende unserer Reise hold.
Nun, da wären wir also. Das schäbige Heft, in das ich während der letzten zwei Monate meine Tagebuchaufzeichnungen gekritzelt habe, ist voll. Stefan und ich sitzen am Fisherman’s Wharf in einer wunderschönen Wohnung im zweiten Stock eines Altbaus und versuchen – jeder für sich – das hinter uns liegende Abenteuer zu verdauen.
Die Gedanken schweifen ab: Früher hab ich in genau so einem Heft meine Mathe-Hausübungen gemacht und fast ein halbes Jahr gebraucht, um es zu füllen. Meine Ziele und Perspektiven von damals waren vernünftig und bodenständig, stammten aus einer anderen Dimension. All das ist noch keine acht Jahre her, und jetzt bin ich einfach so durch Amerika geradelt. Verrückt! Aber eine ungeheure Befriedigung.
Manchmal frag ich mich allerdings: warum? Und warum beneiden uns so viele Leute um
Weitere Kostenlose Bücher