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Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Kekskisten-Sarg.

 
    Daß die Mauer fiel, unerwartet und unverhofft, erlebten wir beide aus der Ferne.
    Ich fühlte mich nicht mehr wirklich betroffen und hatte auf die Frage, die man mir ständig stellte, was denn nun weiter passieren würde, keine Antwort. Vielmehr mußte ich daran denken, daß unsere Moskauer Freunde es schon damals in ihren Küchen genau so vorausgesagt hatten: Erst implodiert das System, und dann zerfällt das ganze Imperium, das werdet ihr bald erleben.
    A. stürzte, um den historischen Moment nicht zu verpassen, sofort nach Berlin. Von dort berichtete er mir euphorisch von allen runden Tischen, Bürgerforen und Initiativen, an denen er teilnahm und mitarbeitete. Er schickte Manifeste, die er geschrieben hatte und in denen er nun eine ganz neue Gesellschaft entwarf, indem er Marx sozusagen vom Kopf auf die Füße stellte. Eine Renaissance der Künste erhoffte er auch, er ließ sich sogar wieder beim Berliner Theater sehen und konnte sich vorstellen, dort zu inszenieren, um endlich zu einem politischen und poetischen Theater aufzubrechen, einemTheater, das, ja! die Welt verändert. Kein Staatstheater, kein Krachmachertheater, kein Lackaffentheater! Er bat mich sogar, ihm etwas dafür zu schreiben; er meinte wohl ein Theaterstück. Aber seit ich damals am Berliner Theater gescheitert bin, ist das Theater für mich nur noch die Erinnerung an einen wilden Zauber aus Worten, Staub, Licht und Türenknallen, dem ich mich nicht mehr aussetzen möchte.
    In seinem Überschwang mietete sich A. gleich wieder eine kleine Wohnung in Berlin, im Osten, gar nicht weit von dem dummen leeren Platz entfernt, wo wir uns am Abend unserer ersten Begegnung geküßt hatten und der Laster uns im ersten Morgenlicht wie ein alter Komplize zuhupte. Nun hatte A. nach all den wechselnden Adressen in den wechselnden Städten und Ländern wieder eine Adresse in Berlin, an die ich ihm meine Briefe schickte, obwohl er auch noch bei einer Frau in einer anderen Stadt wohnte; diese Adresse sei jetzt aber nicht mehr gültig, erklärte er. Postalisch. Bitte schreib mir nach Berlin.
    Unsere Briefe jedoch redeten, je öfter A. ihnen seine Manifeste und Essays beilegte, immer mehr aneinander vorbei. Nachdem die erste Euphorie verflogen war, klagte er fast nur noch über den Rückfall in den Kapitalismus nach der Wiedervereinigung. Das konnte es doch nicht gewesen sein, seiner Ansicht nach mußte es eine Alternative zum Kapitalismus geben. Ein humaner Sozialismus. Der müsse doch möglich sein. Der Kapitalismus sei unmenschlich. Zwar habe er sich seit Marx verändert,aber unmenschlich sei er immer noch. »Heute erscheint es mir durchaus, daß der Kapitalismus hätte besiegt werden können. Jetzt besiegt er die Menschheit, wenn man ihn läßt. Man muß etwas tun«, schrieb er.
    Seine Worte hatten nichts mehr von unserer alten melancholischen Klage über das Unverstandensein in der Welt als Preis für unser stolzes Unangepaßtsein, sie redeten plötzlich von Kampf und Sieg und Niederlage. Früher waren wir vielleicht mit dem Versuch gescheitert, aus Enttäuschung Poesie zu gewinnen, nun aber schien A. mir dabei zu sein, nach dem Beispiel Che Guevaras dazu aufzurufen, Haß in Energie zu verwandeln. Seine Worte klangen haßerfüllt, so hatte ich ihn noch nie sprechen gehört; ich verstand nicht, was ihn so sehr verbittert und verändert hatte. Damals hatte er noch gesagt, unsere Losung sollte stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler sein. Und nicht Kampf, Sieg, Niederlage.
    In unseren Briefen hatten wir uns doch immer über alles lustig machen können, auch über uns selbst, wie wir da wohl etwas schief in unserer selbstgewählten, vielleicht sogar eingebildeten Marginalität herumposierten, während äußerliche Erfolge nicht ausblieben, über die wir natürlich auch nur lachten. Nun aber nahm er alles bitterernst und kommentierte den Zustand der Welt, als stünde ihr Untergang bevor.
    Diese Briefe habe ich gar nicht mehr richtig gelesen, nur noch überflogen und mich sogar angeklagt gefühlt, weil ich mit seinen antikapitalistischen Reden und ökonomischenAnalysen nicht mithalten konnte. Und weil der Antikapitalismus nie sehr weit vom Antisemitismus entfernt ist, habe ich angefangen, mich vor seinen Briefen zu fürchten.
    Und tatsächlich schrieb er immer häufiger und immer deutlicher, wie befremdlich ihm meine »Flucht aus der Realität« vorkäme, denn er sah ja das, was ich als meinen Aufbruch ins Innere des Judentums

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