Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bilder von A.

Titel: Bilder von A. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Eingeschrieben. Ich mußte auf der Post Schlange stehen, um das Paket entgegenzunehmen. Mußte mich ausweisen. Zu Hause habe ich sie dann zusammen mit seinen Briefen, die ich in verschiedenen Pappkartons immer mitgeschleppt hatte, in eine mit bunten Blumen verzierte Blechkiste umgebettet und eingesargt. Eine amerikanische Blechkiste, die, wie alles Amerikanische, überdimensioniert ist und auf deren Deckel Worthley&Strong Fruit Company Inc. California steht. Eine Freundin hatte sie mir geschenkt, sie meinte, man könnte darin große Mengen Kuchen und Kekse »für ewige Zeiten« aufbewahren – ich habe bis heute nicht verstanden, wozu jemals soviel Kuchen und Kekse »für ewige Zeiten« aufbewahrt werden sollten. Natürlich habe ich meiner Freundin nie gesagt, wozu ich ihre Kiste umfunktioniert habe: zur Gruft einer Korrespondenz, die immerhin fastdreißig Jahre angedauert und die »ewigen Zeiten« von Kuchen und Keksen vielleicht noch übertroffen hat.
     
    In all den Jahren, die unsere Korrespondenz andauerte, sind wir weit auseinander gekommen. Ich lebe jetzt in einer Stadt, die A. nie betreten hat, mit Yoav, den er nicht kennt.
    Unsere Wege haben sich voneinander entfernt, und wir sind doch verbunden geblieben, unauflöslich und unerlöst in irgendeinem Ich-weiß-nicht-Was. Liebe war es vielleicht oder vielleicht auch nicht. Freundschaft war es jedenfalls nicht, oder wir wollten es nicht so nennen, wollten es überhaupt nicht benennen und regelhaft zuordnen. So etwas wie eine alte Liebe, die sich in Freundschaft verwandelt, das gibt’s doch. Aber nicht für uns. Auf gar keinen Fall, ausgeschlossen. Das war nichts für uns, sich ab und zu anrufen, wie geht’s, wie steht’s, was machst du gerade, hast du das und das gehört von dem und dem, und wie ist bei euch das Wetter, wie geht’s deinem Mann, deiner Frau und den Kindern.
     
    Zuerst, damals in Berlin, haben wir uns die Briefe oft unter die Tür geschoben, in der DDR hatte ja fast niemand ein Telefon, und der Post konnte und wollte man sowieso nichts anvertrauen. Manchmal waren es auch nur Zettel, manchmal ein Liebeswort, manchmal ein böses Wort, manchmal eine Kunstpostkarte, an der wir noch weitergezeichnet hatten und die dadurch alle möglichen Anspielungen und Botschaften erhielt, manchmal einpaar Zeilen aus einem Gedicht, ein aufgeschnapptes Wort oder eine ganze Seite aus einem Buch, den Text eines Dichters, den man besser in sich eindringen lassen konnte, wenn man ihn mit der Hand abschrieb, weil er Worte enthielt, in denen wir wiederfanden, was wir dachten und fühlten.
    Sicher hatte er in den ersten Zeiten gerade in seiner Einsamkeit mit Vergnügen daran gedacht, er werde durch das Medium seiner Werke aus der Entfernung denjenigen, die ihn verkannt oder beleidigt hatten, eine höhere Meinung von sich geben können. Vielleicht lebte er damals nicht aus Gleichgültigkeit so zurückgezogen, sondern aus Liebe zu den anderen, und wie ich auf Gilberte verzichtet hatte, um ihr eines Tages von neuem unter liebenswerteren F arben zu erscheinen, bestimmte er sein Werk ganz gewissen Leuten, sah es als eine Rückkehr zu ihnen an, durch die sie ihn, ohne ihn wiederzusehen, dennoch lieben, ihn bewundern, mit ihm in Beziehung stehen würden.
    Oft waren es auch nur kurze Mitteilungen über mögliche Verabredungen, die einfache Frage, ob wir uns sehen wollten oder nicht, und wenn ja, wann es dann paßte.
    Zettel von A., daß er vorbeikommt. Aber wann? Ob am Abend oder am späten Nachmittag, kann er nicht sagen, eher am Abend, vielleicht auch erst übermorgen, morgen geht es nicht, überhaupt nicht, übermorgen ist auch unsicher, also am späten Nachmittag oder zum Abend, ich weiß nicht, ich will’s versuchen, ich werd ’ s versuchen. Umarmung. Bis dann!
    Und dann saß ich bis zum Sendeschluß, den es damals noch gab, vor meinem Fernseher, auf den ich immer mit der Faust hauen mußte, um den Sender zu wechseln, und wartete.
    Das ewige Warten. Vielleicht klopft er. Die Klingel ging ja nicht. Vielleicht ruft er im Hof. Die Haustür wurde ja um acht abgeschlossen. Fernseher leise. Warten.
    Warten ist Erstarren.
    Warten ist Angsthaben.
     
    Von Anfang an waren wir uns immer gleichzeitig zu nah und zu entfernt, wußten nicht, wie wir es sagen, wie es ertragen sollten, und fühlten uns sowohl verloren in der Zeit und am Ort, jeder aus seinen Gründen, aber festhalten konnten wir uns nirgends und am wenigsten aneinander. Irgend etwas zwischen uns wog zu schwer und hörte

Weitere Kostenlose Bücher