Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
nicht so groß seien, auch wolle er für Kost und Logis um eine billige Entschädigung unter seinem eigenen Dache sorgen. Daß meine Vorkenntnisse zur Beziehung der Universität genügen, wisse er.
Sowohl Direktor als Kommis der Tuchfabrik sahen mich gern aus ihrem Geschäft gehen, für das ich nun einmal nicht taugte. Je eifriger ich auch nach dem Lesen wissenschaftlicher Schriften und Poesien strebte und mich in solche vertiefte, je schwerer fiel mir das Verfertigen von Tuchsäcken und Musterkarten und das Ausklopfen von Indigofässern; auch erschien ich meiner Umgebung nach und nach als eine mysteriöse Person, hinter der sie viel mehr Gelehrsamkeit vermuteten, als wirklich der Fall war; sie bekamen eine Art Respekt vor mir und verrichteten öfters jene Geschäfte lieber selbst, als daß sie mich dazu kommandierten, wenn ich solche nicht freiwillig tat.
Am schwersten fiel meinem Naturfreunde
Kübler
mein Scheiden aus den Mauern dieser Anstalten, deren Bewohner, Fabrikarbeiter, Waisenkinder, Irren und Züchtlinge, wir so oft im kleinen durch unsere Camera obscura uns aufs Papier zauberten und in bunter Bewegung an uns vorübergehen ließen.
Zur Erinnerung an jene Stunden schenkte er mir noch das Objektivglas der Camera obscura, die wir geschaffen hatten, und das ihm gehörte. Vermittelst dessen errichtete ich überall, wo mich später das Leben hinführte, eine gleiche Camera obscura, wobei mir immer, wie ich schon anführte, das Bestreben im Sinne lag, die Gegenstände durch chemische Mittel zu einer Fixierung aufs Papier zu bringen.
Meine Freunde,
Hellmann, Constantin
und
Staudenmayer,
waren über meinen endlichen Austritt aus der Fabrik herzlich erfreut, der überspannte Hausschneider
Noä
aber war voll Neid, daß mir das gelungen. Er gab mir beim Abschiede zu verstehen, daß er mir wohl bald nach Tübingen zum Studium der
Rechtschaffenheitslehre
(wie er sich ausdrückte) auf die ihn die Schriften von
Sintenis
geführt, nachfolgen werde, er warte nur auf den Tod seiner kränklichen Frau; aber seine Frau überlebte ihn, und ihn nahm statt der Universität Tübingen das Irrenhaus zu Zwiefalten, wie ich schon berührte, auf.
Bald aber gab mir in Tübingen mein Mantel, in den der Ofen, während meines Studierens, ein Loch brannte, Veranlassung noch einmal mit ihm in Berührung zu kommen; ich schrieb ihm damals mit dem verbrannten Mantel nach Ludwigsburg:
»Prosit s'neu Jahr!
In welche Gefahr
Ich gekommen schier,
Vernehmen Sie hier:
Ganz ruhig ich saß
Am Ofen und las
In einem Buch:
Wie Gottes Fluch
Und alle Übel
Ohne Bibel
Durch Laxieren und Speien
Zu heilen seien,
Als plötzlich – o!
Ganz lichterloh
Aus dem Ofenloch
Der Teufel kroch,
Mir mit feurigen Klauen
Den Mantel zu rauhen.
Ich nicht dumm,
Dreh mich um,
Schüttel und rüttel
Den brennenden Kittel,
Aber ein Loch
Bleibt doch
Wie Sie sehen,
Wenn sie ihn drehen.
Nun bitt ich sehr,
Mein lieber Herr!
Verlassen Sie nicht
Den armen Wicht
Und setzen Sie doch
Einen Plätz fürs Loch,
Aber bald,
Denn es ist kalt.
Vielleicht hat
Sprösser
Oder besser
Die Fabrik
Noch ein Stück
Der Art feil
Ihr Kerner (in Eil!)
Diese Knittelverse leben noch jetzt im Munde mancher Ludwigsburger.
Es war der Herbst des Jahres 1804, wo ich mich von Ludwigsburg und seinen Tuchsäcken und Tuchballen verabschiedete, und unter Tränen meiner guten Mutter, die mich ungern aus ihrer Nähe verlor, der Universitätsstadt Tübingen zuwanderte.
Mit Büchern und Zeug war mein Ränzlein schwer bepackt. Um jetzt schon das Sparen anzufangen und einzulernen, hatte ich unterwegs nirgends eingekehrt und mich nur an ein paar Brunnen mit einem frischen Trunke zum Weitergehen gelabt. So kam ich im Mondschein, allerdings endlich sehr ermüdet vor Tübingen an, in der Gegend, wo an der Chaussee vor dem sogenannten Gutleuthause (einem Armenspital) eine Bank stand. Auf diese ließ ich mich ermattet nieder und schlief unter dem Gesäusel der nahen Pappeln ein.
In diesem Schlummer hatte ich zum erstenmal den Traum, der mich nachher während meines Studiums auf der Universität noch sehr oft verfolgte.
Es träumte mir, ich sitze zwischen einem Berge von Kompendien und Manuskripten in einem einsamen Stübchen, dessen einziges Fensterlein gegen eine Waldwiese sah.
Ermüdet von vielem Lesen heftete ich endlich meine Augen von den Büchern nach dem Grünen der Waldwiese, und da sah ich, daß aus dem Walde über die Wiese her ein Hirsch mit Storchfüßen schritt,
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