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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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der kam wie durch die Luft meinem Fensterlein immer näher und endlich stand er zu meinem Schrecken vor mir im Stübchen und befahl mir in den unverschämtesten, höhnendsten Ausdrücken: weil ich ein so emsiger Studiosus sei, ihn, der bisher vergessen worden, nach
Linné
in eine Klasse zu stellen.
    Den beängstigenden Presser an der Seite, durchblätterte ich all meine Kompendien und Manuskripte; aber ich konnte von diesem Ungetüme nichts geschrieben finden, ihm keinen Namen anweisen, und ich erwachte im Schweiße meines Angesichtes. Dieser damalige Traum, ein wahrhaft magnetischer, voraussehender, welcher keine Dichtung, sondern völlige Wahrheit ist (den ich aber in einer Dichtung »die Heimatlosen« benutzte), wiederholte sich mir sehr oft in nächtlichen Träumen während meines Studiums in Tübingen; der Hirsch gab mir ganz das Gefühl eines Examinators, wobei er das Gesicht bald eines Professors, bald eines fleißigen Studiosi annahm. Es war mir dieser Traum immer sehr widrig, aber bezeichnend für das ängstliche Studium der Meinungen und Systeme, in das ich nun eingeführt wurde, und das mir so oft ganz außer dem Bereiche der Natur zu liegen schien.
    Als ich aus jenem Traume erwachte, wogten die Pappeln am Wege im heftigen Sturme hin und her und Wolken flogen am Monde vorüber. Als ich mich erhob, wehte der Luftzug mir ein beschriebenes Papier entgegen; ich haschte es mit der Hand, es war ein ärztliches Rezept, das der Wind aus einem offenstehenden Fenster des Armenspitals getrieben hatte. (Auch dieses geschah mir damals in Wahrheit.) Die Rezeptur hatte die Unterschrift des damaligen Oberamtsarztes
Dr. Uhland
in Tübingen, eines braven Praktikers und Menschen (Oheim des Dichters). Wohl hatte ich mich beim Verlassen der Fabrik fürs Studium der Naturwissenschaften entschlossen, aber noch nicht für das besondere der Medizin. »Nun ja, sagte ich vor mich hin, dieses Blatt ist dir zum Zeichen deines künftigen Berufes gesandt;
du sollst ein Arzt werden!«
In diesen Gedanken und mit diesem Vorsatze zog ich durch das
Lustnauer
Tor in die mir ganz unbekannte Stadt der Musen ein.
     
    Ende des Bilderbuchs aus meiner Knabenzeit.
     
Eine Zugabe
     
Ferneres Leben meines Bruders Georg bis zu seinem Tode
    Was sich mit meinem Bruder
Georg
nach dem Jahre 1804 ereignete, gehört nicht mehr in dieses Bilderbuch aus meiner Knabenzeit, da dieses mit dem Jahre 1804 endigt; es müßte in das meines Jünglings- und Mannesalters gesetzt werden. Da ich aber nicht weiß, ob mir noch möglich wird, auch aus diesen Jahren Bilder niederzuschreiben, in manchem Leser aber durch das schon hier aus dem Leben meines Bruders
Georg
Gegebene, der Wunsch erregt worden sein mag, es bis an dessen Ende fortgesetzt zu wissen, so schreibe ich, mich nicht an die Zeit bindend, noch Folgendes aus dem späteren Leben dieses Bruders bis zu dessen Tod hierher.
    Das fernere Leben meines jüngeren Bruders
Karl,
das so schön und segensreich war, so wie sein Sterben erhebend, steht, wenigstens in unserem Vaterlande, noch in zu guter Erinnerung, als daß es jetzt schon dieser Erhaltung bedürfte. Für die mit ihm völlig Unbekannten diene inzwischen die hier unten stehende Note. 1
    Ich hielt mich, da ich als Bruder zu parteiisch zu sein scheinen könnte, in dieser Note meistens an die Worte, die ein wackerer Mann und Kampfgenosse meines Bruders kurz nach dessen Tode in den ihm im schwäbischen Merkur (19. Mai 1840) gewidmeten Nekrolog niederschrieb.
    Als mein Bruder Georg seine goldenen Träume, die er so lange für das Wohl der Menschheit nährte, sich in nichts auflösen sah, und er sich von dem Lande der Chimären, wie unser Vater Frankreich zur Zeit seiner Revolution nannte, losgerissen hatte, erblickte er nur eine neue Aufforderung für sich darin, alle seine Kräfte der leidenden Menschheit zu weihen, und gab er nie den Willen und die Hoffnung auf, ihr auf wirksame Weise zu helfen und zu nützen. Neun Jahre lang wirkte er als ausübender Arzt zu Hamburg. Die damals noch in ihrer ersten Ausübung begriffene Einimpfung der Kuhpocken wurde durch seinen Eifer in dieser Stadt hauptsächlich gänzlich durchgeführt. Er faßte den Gedanken, in Hamburg ein Entbindungshaus zu gründen, ähnlich dem in
Kopenhagen.
Da ihm dies durch die traurigen politischen Zustände nicht gelang, gab er sich nicht dem Unmute darüber hin, sondern unterrichtete Hebammen, und damit diese sich in der Praxis übten, bewarb er sich und erhielt die Erlaubnis: alle die Frauen,

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