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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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Schriften und Reisebeschreibungen wurden in den Stunden, die nicht für Erlernung der alten Sprachen bestimmt waren, auch hier mit Lust und Liebe gelesen, namentlich
Bonnets, Bertuchs, Hallers
Werke, ferner die Reisebeschreibungen von
Campe,
und das Entzücken aller Kinder – sein Robinson. Das Vergnügen, das mir damals das erste Lesen dieses Buches machte, hat bis auf den heutigen Tag das Lesen eines andern Buches noch nicht überstiegen. Neben diesem Buche standen Tausend und eine Nacht, Musäus Volksmärchen und all die alten Volksbücher, Heymonskinder, Magelone, Siegfried usw., die die Reutlinger Buchhändler auf den Jahrmarkt in das Städtchen sandten.
     
Die Reise nach Heilbronn und der Wunderdoktor
     
    Mit meinen körperlichen Leiden blieb es, wie ich schon anführte, auch hier beinahe immer auf derselben Stufe. Ich war sehr abgemagert, bleich und hoch aufgeschossen, jedoch noch immer in keinem fieberhaften Zustande und nicht geschwächter, als früher. Nachdem man mich auch hier mit Arzneien überhäuft, sah man ein, daß auch der gerühmte Äskulap von
Brackenheim
für dieses Leiden kein Kräutlein finde. Dagegen wurde damals viel von den Wunderkuren des russischen Geheimerats Dr.
Weickardt
gesprochen, der sich zu
Heilbronn
aufhielt, Leibarzt der Kaiserin Katharina gewesen war und sich durch seine Schriften als gewaltiger Brownianer bekannt gemacht hatte. Unter dessen prüfende Augen sollte ich nun gestellt werden. Es kam zu diesem Zweck meine gute Mutter nach
Brackenheim
und fuhr eines Morgens im väterlichen Gefährt mit den Rappen unter Leitung des
Matthias
mit mir nach Heilbronn ab.
    Wir stiegen auf dem Marktplatze bei der Mutter des Fräuleins vom
Osterholz,
(der Frau von
Stetinkh,
die hier getrennt von ihrem Manne lebte) ab. Es war bald Mittag als wir ankamen.
Matthias
holte mich sogleich auf den freien Platz vor dem Rathause, denn es war bald zwölf Uhr, wo die Böcke an der künstlichen Uhr des Rathauses zwölfmal gegen einander stoßen, und der Engel posaunt. Das war ein neuer Anblick, besonders für
Matthias,
der, als die Böcke mit dem Schlag zwölf Uhr zu stoßen anfingen, ihre Bewegungen nachmachend, mit dem Kopfe vorwärts stoßend einen mächtigen Satz machte, und einen vorübergehenden Herrn in einem roten Bordenrocke und einem Höcker dergestalt auf denselben stieß, daß derselbe unaufhaltbar unter einen dort stehenden Güterwagen fiel. Der Herr erhob sich zum Glücke unverletzt wieder und sah sich, einen Augenblick auf sein spanisches Rohr gestützt, nach der Ursache seines Falles um, aber
Matthias
hatte sich noch schneller als der Herr erhoben, unter die auf dem Markte stehende Menge gemacht, und ich blieb, nach dem so eben posaunenden Engel schauend, stehen, als bemerkte ich sonst nichts. Aber das bemerkten ich und
Matthias,
als wir nach Hause kehrten, zu unserer großen Verlegenheit, daß der Herr in dem roten Rock nun gerade auch auf das Haus zulief, zu dem wir zurückkehrten, auf die Wohnung der Frau von
Stetinkh,
dort anläutete und nun fast zu gleicher Zeit mit uns die Treppe hinaufstieg, während er immer an seinem staubig gewordenen Rocke wischte. Ich wußte nicht, sollte ich umkehren: denn ich befürchtete er komme nur, uns seines Falles wegen zu verklagen; aber
Matthias
hatte Unverschämtheit genug und rief dem Herrn zu: »Erlaubens! Sie sind auf Ihrem Rücken ganz weiß wie ein Zuckerhut«, und klopfte ihm dabei unter Danksagung des Herrn den Höcker aus, auch reinigte er ihm noch vor dem Zimmer den bestäubten Hut, während ich in dasselbe mit großer Bangigkeit und Herzklopfen vorausgeeilt war. Der Herr trat ein und wurde von der Frau von
Stetinkh
als der Herr Geheimerat
Weickardt
bekomplimentiert, und ihm meine Mutter und ich als die Ursache vorgestellt, wegen der sie sich die Freiheit genommen, ihn zu sich zu bitten, denn die Frau Regierungsrätin sei von der Reise sehr ermüdet, und ihr Söhnlein, wie er sehe, äußerst angegriffen und erkrankt.
    Ich stand in einer Ecke des Zimmers, mager und weißlichblau, wie eine Thermometerröhre, die man mit blauem Spiritus gefüllt hatte, und mußte nun auf den Ruf meiner Mutter: Christian, wo bist du? vor den auf dem Sofa platzgenommenen Geheimerat mich stellen. Es war eine kleine stark ausgewachsene Figur, mit hoher Frisur, blitzenden grauen Augen und sehr beweglichen Gesichtsmuskeln. Meine Mutter hatte ihm einen schweren Pack Rezepte der von mir früher gebrauchten Ärzte überreicht, die er flüchtig durchging, während er

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