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Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit

Titel: Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justinus Kerner
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in der Kirche bewahrt wurde, soll zur Zeit der Reformation von da weggekommen sein; man sagte, es habe sie ein alter Stadtschreiber aus Stuttgart, der von der katholischen zur lutherischen Kirche übergegangen, heimlich an sich gezogen. Vergebens baten die Mönche des Berges bei Herzog
Ulrich
um die Bestrafung des Stadtschreibers und Zurückgabe der heiligen Feder; sie erhielten keine Genugtuung. Darob im Zorn entbrannt habe der Erzengel Michael die Strafe der Vielschreiberei über
Württemberg
ausgeschüttet.
    In spätern Jahren, als Student, besuchte ich einmal mit meinem Freunde, dem Dichter Ludwig
Uhland,
diesen Berg.
    Es waren schöne Herbsttage, und Uhland rief mich damals in einem Briefe mit folgenden Worten aus Stube und Haus: »Welch herrliches Herbstwetter! es ist als riefe der Gott des Jahres uns zu: kommt herbei, die ihr nicht genossen des Frühlings, des Sommers arkadische Freuden, denen umsonst der Baum geblüht, die Rose geduftet! Die Halle meiner Freuden soll euch nicht ganz verschlossen werden, bevor auch ihr euren Teil davongetragen. Noch einmal schlag ich auf meinen blauen Himmel! Noch einmal laß ich meine Sonne herrlich leuchten. Meine Trauben sind reif, meine Weingärten geöffnet! Eilet herbei, die Zeit ist kostbar! Ersetzet, was ihr versäumt! Die ihr im Mai nicht von Liebe gesprochen, sprechet jetzt. Auch euer Liebchen rufe ich noch einmal in den Garten. Mädchen und Jünglinge! lebet und liebet!«
    Wir hatten von Ludwigsburg an miteinander die Wallfahrt nach dem Michaelsberge angetreten. Als wir uns dem rebenbekränzten Berge nahten, tönten uns aus den offenen Toren der Kirche Gesang und Orgelklang entgegen. Wir traten in sie in sehr frommer, romantischer Stimmung ein. Da hörten wir einen der Mönche das Evangelium in deutscher Sprache absingen. Mehrmals kamen in diesem Gesang die Worte vor: »und als sie aßen von den Früchten des Weinstocks«, allein der Mönch sang, so oft diese Worte vorkamen, immer statt »des Weinstockes«, »des Schweinstockes«. Dadurch wurden wir in aller romantischen Andacht gestört und brachen endlich in ein konvulsivisches Gelächter aus, das uns die Kirche eilends zu verlassen nötigte, um nicht die Andacht anderer zu stören.
    Die romantischen Burgen von
Stocksberg
und
Neipperg
waren hier auch oft das Ziel unserer Wanderungen.
     
Erste kindliche Naturforschung
     
    Der Lehrer hatte uns auch Unterricht in der Botanik erteilt und suchte auf solchen Wanderungen unsere Kenntnisse zu erweitern; aber ich konnte lange solchen Namensbestimmungen und Einregistrierungen der Blüten und Kräuter keinen Geschmack abgewinnen, und mir waren die Blumen, deren Namen ich nicht kannte, viel wunderbarer und lieber, als solche, denen ich durch ihr Zergliedern und Zählen der Staubfäden einen Namen zu geben wußte, der mir ihr Wesen doch nicht bezeichnete. Ich gab den gesammelten Kräutern am liebsten Namen nach eigener Wahl, meistens nach mir bekannten Menschen. Der kurze Professor
Maier,
seine schneeweiße Theresia, der komische Kutscher
Matthias,
der steife Prälat
Mieg
und seine Gattin mit dem Eulenkopfe, der grimmige Präzeptor
Braun
mit seinen Söhnen und Töchtern usw. fanden sich in meiner botanischen Sammlung je nach ihren Charakteren als Pflanzen verzeichnet, und selbst als Student in
Kielmayers
Vorlesungen, ja sogar im Examen, verwechselte ich noch manche dieser von mir geschaffenen Benennungen der Pflanzen mit denen, die ihnen
Linné
schuf.
    Käfer und Schmetterlinge fing ich nie zu toten Sammlungen; sie waren mir nur ihrer Verwandlung wegen merkwürdig. Diese beobachtete ich genau, wodurch schon früh mir die Ahnung wurde, daß, wie zwischen der Raupe und dem Schmetterling noch ein Mittelzustand, der der Puppe liegt, dieses auch bei den Menschen nach dem Tode der Fall sein werde. Aus dieser Naturanschauung ging hauptsächlich der später von mir verteidigte Glaube eines Mittelreichs hervor, eines Zustandes, in dem der Mensch sich selbst anheimgestellt, wie die Raupe die Flügel zum Schmetterling, die Flügel einer höhern Psyche erst entwickelt und zu solcher reif wird. – Aber auch das Unerbittliche (ich möchte sagen die Grausamkeit) der Natur lernte ich früh mit Trauer erkennen, als ich einen Käfer sah, der zufällig auf den Rücken gefallen war und sich nun nicht mehr auf die Beine bringen konnte, und den in dieser hülflosen Lage noch am Leben Ameisen aushöhlten. Der fiel mir als Arzt nachher oft bei armen hart leidenden Menschen ein.
    Naturhistorische

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