Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
kränklichen Manne und war die verständigste und dabei bescheidenste Hausfrau. Ihre Gesichtszüge waren nicht regelmäßig, aber ansprechend durch Geist, Sanftmut und Wohlwollen, die sie ausdrückten. 1
Der Sohn eines Lederfabrikanten in Ludwigsburg, Jonathan
Hellmann
war der Freund meiner Brüder.
Er war selbst Gerber und übte diese Kunst bei seinem Vater mit Kenntnis und Umsicht aus. Dabei hatte er sich durch Erlernung von Sprachen und Selbststudien der Geschichte, Politik und Dichtkunst einen hellen Verstand, eine nicht gewöhnliche Bildung verschafft und bei den wissenschaftlichsten Männern Geltung erhalten. Er war um ein Gutes älter als ich, nahm sich aber meiner in Liebe an. Ich traf ihn oft bei
Staudenmayer. Werners
Söhne des Tales, die damals zuerst erschienen waren, erhielt ich durch seine Mitteilung, und so auch das merkwürdige Buch Dia-na-sore von Herrn
von Meyern,
welchen geistreichen Mann ich später persönlich kennen lernte; was mir um so merkwürdiger war, da für diese seine Schrift mein Bruder
Karl
besonders schwärmte. Bei
Hellmann
und
Staudenmayer
fand ich auch oft den schon erwähnten, mir freundlichen Militärarzt (nachherigen Armeearzt)
Dr. Constantin.
Beide Männer freuten sich meiner wissenschaftlichen Strebungen und bedauerten meine Lage in jener Tuchfabrik unter so verdorbenen Menschen und geisttötenden Beschäftigungen. 2
Fußnoten
1 Eine Biographie dieser Künstlerin und auch Näheres über ihre Freundin
Voßler
ist zu finden in dem Buche: Ludovike usw. von der Herausgeberin des Christbaums 1846.
2
Hellmann,
später in Neckarsteinach als Fabrikherr angesiedelt, zeichnete sich als Mitglied der hessischen Kammer aus.
Von meinen Geschwistern um jene Zeit.
Meine Schwester Wilhelmine
Während meines Aufenthaltes in dieser Fabrik verlor ich auch die Nähe meiner lieben Schwester
Wilhelmine,
die durch eine Verheiratung von Ludwigsburg hinweg wieder in die Gegend von
Maulbronn
kam. Schon im Kloster
Maulbronn
besuchte ein benachbarter Geistlicher, Pfarrer
Steinbeis zu Oelbronn,
öfters mein väterliches Haus. Es war ein Mann voll Geist und Humor. Durch sein Äußeres konnte er für ein gewöhnliches Mädchen nicht erobernd sein; denn schon im mittleren Alter hatte er ein Silberhaar das nur in einem Kranze den kahlen glänzenden Schädel umgab, den er oft in seinem Humore dem Helme
Mambrins
verglich. Dabei waren seine Gesichtszüge sehr lang, aber sein hellblaues Auge war voll Geist, und was er nur sprach, mußte man gerne hören.
Im Jahre 1762 zu Vaihingen an der Enz von bürgerlichen Eltern geboren, durchlief er auf Zureden der dasigen Geistlichen die gewöhnliche Bahn württembergischer Theologen, trat aber, nachdem er Tübingen verlassen hatte, besonders längere Zeit als Erzieher in die Familie des Baron du Bos du Thil zu Braunfels ein.
Von diesem Herrn du Thil pflegte er öfters zu sagen:
»Er war ein Mann, der, wenn ich je an menschlicher Tugend hätte verzweifeln können, mich davor durch seine Tugend geschützt hätte.« Zwei Söhne waren ihm zur Erziehung übergeben, von denen der eine der noch jetzt lebende, gewesene darmstädtische Staatsminister du Thil ist. Mit ihnen war ihm öfters die Veranlassung zu Reisen in
Deutschland,
der
Schweiz
und
Savoyen
gegeben, und er verweilte auch mit seinen Zöglingen zwei Jahre zu Neuchâtel und vier Jahre zu Stuttgart. Von der Schweiz und von Stuttgart aus führte er einen fortgesetzten Briefwechsel mit der Tante seiner Zöglinge, einer Fräulein von
Asseburg,
in deutscher und französischer Sprache. Diese seine Briefe sind voll lebendiger Schilderungen von Naturszenen und Erlebnissen.
Als dieser Mann schon damals den Wunsch äußerte, meine Schwester
Wilhelmine
zur Gattin erhalten zu können, schien ihr Herz noch von einer andern Neigung erfüllt zu sein; aber die späteren Verhältnisse traten dazwischen. Als er sie nun nach Jahren in Ludwigsburg zur Gattin begehrte, ging sie mit ihm den Bund ehelicher Liebe ein, was sie auch nie zu bereuen hatte. Lauterkeit und ein Herz ohne Möglichkeit einer Falte war der Grund und Boden dieses ihres Gatten, auf dem ein heiterer Humor und ein ungebeugter Lebensmut blühten, die ihn für jedermann liebenswürdig machten. Humanität war der Grundsatz seines Handelns, auch als Lehrer seiner Gemeinden, und die Regel, die er jenen gab, war: »wenn dich neun und neunzig betrügen, so erwarte von dem hundertsten wieder Gutes.« –
Er starb mit einem beredten Zeugnis an den ihn
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