0102 - Das letzte Duell
Ich blickte sie an.
Hatte sie sich verändert?
Nein, vielleicht war ihr ebenmäßiges Gesicht ein wenig blasser geworden. Aber das konnte auch an den herrschenden Lichtverhältnissen liegen, daß ich sie so sah. Sie trug einen Mantel, der eng um ihren Körper lag und in der Mitte von einem Gürtel gehalten wurde. Die Hände hatte sie in ihren Taschen vergraben. In ihren dunklen Kirschenaugen glaubte ich ein spöttisches Funkeln zu sehen, als sie mich anschaute.
»Bist du überrascht, John Sinclair?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Du weißt doch, daß es für gewisse Personen keine Schwierigkeit ist, aus dem Reich der Toten zurückzukehren.«
Ich räusperte mir die Kehle frei. »Und du bist aus dem Reich zurückgekehrt?«
»Nein, ich war noch gar nicht da.«
Die Antwort machte mich sprachlos. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Für mich galten die Gesetze des Todes. Wenn jemand starb, dann ging seine Seele in die Unendlichkeit ein, wo sich all die Geistwesen vereinigten und das Licht regiert, aber Karin Mallmann stellte mit ihrer Antwort meine Theorie auf den Kopf.
Da stimmte was nicht.
Sie lachte spöttisch. »Du sagst ja nichts, John Sinclair. Hat dich mein Anblick so geschockt?«
»Geschockt nicht, aber überrascht. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wo du herkommst?«
»Vielleicht aus der Hölle?«
»Dann bist du nicht Karin Mallmann!«
»Sehe ich nicht so aus?«
Ich nickte. »Ja, du siehst so aus. Doch ich habe in meinem Leben schon zu viel erlebt, um alles so schnell zu glauben. Wenn du wirklich Karin Mallmann bist, dann beantworte mir einige Fragen.«
»Wenn ich kann…«
Ich lächelte spöttisch. »Keine Einschränkungen, bitte.« Ich fühlte mich ziemlich sicher. Schon allein wegen meiner Bewaffnung. Ich besaß nicht nur das Kreuz oder die mit Silberkugeln geladene Beretta, sondern auch den silbernen Bumerang, der aus den letzten Seiten des Buchs der grausamen Träume entstanden war. Und auf ihn vertraute ich.
»Wo befindet sich dein ehemaliger Mann?« fragte ich.
»Weit von hier«, wehte mir die Antwort entgegen.
»Das ist mir zu unklar.«
Sie sprach weiter in Rätseln. »Er ist nicht allein. Ein gewisser Sir James Powell leistet ihm Gesellschaft. Und auch drei andere sind auf dem Weg zu ihnen.«
Ich hatte ihren Worten zwar nichts Konkretes entnehmen können, doch in mir stieg langsam eine gewisse Furcht hoch. Meine Ahnungen sagten mir, daß Karin Mallmann mir unter Umständen eine schreckliche Eröffnung bereiten würde.
»Hat man sie vielleicht in eine andere Dimension verschleppt?« erkundigte ich mich.
»So ähnlich.«
Langsam wurde ich wütend. »Wer befindet sich bei deinem Mann? Suko?«
»Nein, er nicht.«
»Aber er saß auch in der Seilbahn, ebenso wie Will.«
»Trotzdem ist er entkommen. Das war allerdings nicht vorgesehen, denn das gesamte Sinclair-Team sollte an diesen geheimnisvollen Ort geschaffen werden.«
»Ich will den Namen wissen!«
»Es ist der Friedhof am Ende der Welt!«
Da war der Begriff wieder. Ich hatte es mir denken können, doch ich wollte Gewißheit haben.
Der Friedhof am Ende der Welt!
Bereits der Seher hatte davon gesprochen, bevor er mir das Buch zu lesen gab.
Dort sollte sich das Schicksal des Sinclair-Teams erfüllen. Es waren bereits die Gräber geschaufelt, in denen wir liegen sollten.
Für immer und alle Ewigkeiten vergessen…
Mir rieselte eine Gänsehaut über den Rücken. Auch Karin Mallmann hatte diesen Friedhof erwähnt. Sie wußte davon. Aber wieso?
Kannten diesen Ort nicht nur dämonische Geister? Wenn ja, dann war Karin eine Dämonin, vielleicht ein Trugbild des Bösen, das für mich als Lockvogel diente.
Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht loszuschreien, denn ihre Worte waren die reinsten Keulenschläge für mich.
»Wer befindet sich noch auf diesem Friedhof?« erkundigte ich mich. »Rede endlich!«
»Auf dem Weg dorthin sind Jane Collins, Bill Conolly und auch Myxin. Schwarze Magie hat sie hergelockt, denn auch sie sollen dort sterben. Wie Myxin. Der Schwarze Tod will ihn endlich loswerden. Und da er euch so manches Mal geholfen hat, soll er auch sein Grab dort auf dem Friedhof bekommen.«
»Wo liegt der Friedhof?«
»Den wirst du schon finden.«
»Nein, Karin«, sagte ich, »du wirst ihn mir zeigen.«
Sie lächelte. Dieses Lächeln verschönte ihr Gesicht. Doch ich traute ihr nicht mehr. Nein, das war nicht die Karin Mallmann, wie ich sie kannte. Sie war eine andere geworden. Sie gehörte – und das
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