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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›dem netten Alten, daß man seiner Anweisung, jedem Boten zwei Mark Trinkgeld zu geben, offenbar nicht folgt; es glänzte nicht von Silber in des Boten Hand, nur von mattem Kupfer.‹
    Mut, Leonore! Mut, die Zähne zusammengebissen, überwinde deine Angst und geh ins Hotel. Sie drückte sich noch einmal um die Ecke, ein Mädchen mit einem Freßkorb trat ins Druckereitor; gleichfalls blickte es auf seine flache Hand;
    ›verfluchter Schuft von Portier‹, dachte Leonore, ›das werd ich Herrn Fähmel aber sagen.‹
    Noch zehn Minuten bis sieben; ins Cafe Kroner eingeladen, aber zum Hotel Prinz Heinrich bestellt, und sie würde mit geschäftlichen Botschaften kommen, die er am heiligen Samstag haßte; würde x 5 ihn veranlassen, ausnahmsweise anders zu reagieren? Sie schüttelte den Kopf, als sie mit blindem Mut endlich die Tür aufstieß, erschrocken spürte, daß die Tür von innen aufgehalten wurde.
    Kind, Kind, auch bei dir werde ich mir eine private Bemerkung gestatten; komm nur näher, hoffentlich ist die Ursache deiner Schüchternheit nicht im Zweck, sondern nur in der Tatsache deines Hierseins zu suchen; ich hab schon viele junge Mädchen hier reinkommen sehen, aber so was wie dich noch nicht; du gehörst nicht hierher, es gibt gegenwärtig nur einen einzigen Kunden im Haus, zu dem ich dich lassen werde, ohne mir eine private Bemerkung zu gestatten: den Fähmel; ich könnte dein Großvater sein, und du wirst mir eine private Bemerkung nicht übelnehmen: was suchst du in dieser Räuberhöhle; streu Brotbrocken aus, damit du den Rückweg findest; Kind, du hast dich verirrt: wer beruflich hier zu tun hat,
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    sieht anders aus als du, und wer privat hier zu tun hat, erst recht; tritt nur näher. »Dr. Fähmel? Ja, Sekretärin? Dringend - warten Sie, Fräulein, ich laß ihn ans Telefon rufen... Hoffentlich wird Sie der Lärm da draußen nicht stören.«
    »Leonore? Ich freue mich, daß mein Vater Sie eingeladen hat, und entschuldigen Sie bitte, was ich heute morgen gesagt habe, Leonore, ja? Mein Vater erwartet Sie auf Zimmer 212. Ein Brief von Herrn Schrit? Alle Unterlagen für x 5 falsch errechnet? Ja, ich werde mich drum kümmern, Schrit anrufen. Jedenfalls danke, Leonore, und bis nachher.«
    Sie legte den Hörer auf, ging auf den Portier zu, öffnete schon den Mund, um nach dem Weg zu Fähmels Zimmer zu fragen, als ein fremdes, nicht sehr lautes, sprödes Geräusch sie erschreckte.
    »Mein Gott«, sagte sie, »was war das?«
    »Das war ein Pistolenschuß, mein Kind«, sagte Jochen.
    Rot über grün, weiß über grün; Hugo stand an die
    weißlackierte Türfüllung gelehnt, hatte die Hände auf dem Rücken gekreuzt; die Figuren erschienen ihm weniger präzis, der Rhythmus der Kugeln gestört; waren es nicht dieselben Kugeln, derselbe Tisch, bestes Fabrikat, ständig aufs beste gepflegt? Und war Fähmels Hand nicht noch leichter geworden, seine Stöße nicht noch genauer, wenn er eine Figur aus dem grünen Nichts schlug? Und doch erschien es Hugo, als wäre der Rhythmus der Kugeln gestört, die Präzision der Figuren geringer; war es Schrella, der die ständige Gegenwärtigkeit der Zeit mitgebracht, den Zauber gelöst hatte: das war hier, das war heute, war achtzehnuhrvierundvierzig, am Samstag, den sechsten September 1958; da wurde man nicht dreißig Jahre zurück, vier vor, wieder vierzig zurück und dann in die Gegenwart geworfen; das war ständige Gegenwart, die der Sekundenzeiger vor sich herschob: hier, heute, jetzt, während die Unruhe aus dem Speisesaal herüberdrang: ›Zahlen, Ober,
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    zahlen‹; alles drängte zum Aufbruch, zum Feuerwerk, an die Fenster, den Aufmarsch zu sehen; drängte zu den römischen Kindergräbern; sind die Blitzlichter wirklich in Ordnung?
    ›Wußten Sie nicht, daß M. Minister bedeutet?‹ ›Schick, nicht wahr?‹ ›Zahlen, Ober, zahlen.‹
    Uhren schlugen nicht vergebens, Zeiger bewegten sich nicht vergebens: sie häuften Minute auf Minute, addierten sie zu viertel und halben Stunden und würden auf Jahr und Stunde und Sekunde genau abrechnen, klang nicht im Rhythmus der Kugeln die Frage: ›Robert, wo bist du; Robert, wo warst du; Robert, wo bist du gewesen?‹ Und gab Robert nicht mit seinen Stößen die Frage zurück: ›Schrella, wo bist du; Schrella, wo warst du; Schrella, wo bist du gewesen?‹ War dieses Spiel nicht eine Art Gebetsmühle, eine mit Stöcken und Kugeln über grünem Filz geschlagene Litanei? Wozuwozuwozu? und Erbarme dich unser! Erbarme dich

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