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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ihn glaubt, warum tut ihr nicht, was er befohlen hat? Dumm, nicht wahr, unrealistisch, Robert?
    Weide meine Lämmer, Robert aber sie züchten nur Wölfe. Was habt ihr aus dem Krieg mit nach Hause gebracht, Robert?
    Dynamit? Ein herrliches Zeug zum Spielen, ich verstehe deine Leidenschaft gut, Haß auf die Welt, in der für Ferdi und Edith kein Platz war, kein Platz für meinen Vater und für Groll und für den Jungen, dessen Namen wir nie erfahren haben, nicht für den
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    Polen, der gegen Wakiera die Hand erhob. Du sammelst also statische Unterlagen, wie andere Barockmadonnen sammeln, schaffst dir eine Kartei aus Formeln, und auch mein Neffe, Ediths Sohn, ist des Mörtelgeruchs überdrüssig, sucht die Formel für die Zukunft anderswo als im geflickten Gemäuer von Sankt Anton. Was wird er finden? Wirst du ihm die Formel geben können? Wird er sie im Gesicht seines neuen Bruders finden, dessen Vater du werden willst? Du hast recht, Robert, man ist nicht Vater, sondern wird es; die Stimme des Blutes ist erlogen, einzig die andere ist wahr - das ist der Grund, weshalb ich nicht geheiratet habe, ich hatte nicht den Mut, darauf zu vertrauen, daß ich Vater werden würde, ich hätte es nicht ertragen können, wenn meine Kinder mir so fremd geworden wären, wie Otto deinen Eltern war; nicht einmal der Gedanke an meine Mutter und meinen Vater gab mir genug Mut, und du weißt noch nicht, was Joseph und Ruth einmal werden, von welchem Sakrament sie kosten - nicht einmal bei Kindern von Edith und dir bist du sicher; nein, nein, Robert, du wirst verstehen, daß ich nicht mein Hotelzimmer räume und mich ansiedle in dem Haus, in dem Otto gelebt hat und Edith gestorben ist, ich könnte es nicht ertragen, jeden Tag den Briefkasten zu sehen, in den der Junge deine Zettelchen geworfen hat - ist es noch der alte Briefkasten?«
    »Nein«, sagte Robert, »die ganze Tür ist erneuert worden, sie war von Bombensplittern durchsiebt - nur das Pflaster ist das alte - seine Füße haben es berührt.«
    »Du denkst daran, wenn du darüber gehst?«
    »Ja«, sagte Robert, »ich denke daran, und vielleicht ist es einer der Gründe, weshalb ich statische Formeln sammle -
    warum bist du nicht früher zurückgekommen?«
    »Weil ich Angst hatte, die Stadt könnte mir nicht fremd genug sein; zweiundzwanzig Jahre bilden ein gutes Polster, und was wir uns zu sagen haben, Robert, findet es nicht auf Postkarten Platz? Ich würde gern in deiner Nähe sein, aber nicht hier; ich
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    habe Angst, und die Menschen, die ich vorfinde - täusche ich mich, wenn ich sie nicht weniger schlimm finde als die, die ich damals verließ?«
    »Wahrscheinlich täuschst du dich nicht.«
    »Was ist aus so Leuten wie Enders geworden? Erinnerst du dich an ihn, den Rothaarigen? Er war nett, sicher kein Gewaltmensch. Was haben Leute wie er im Krieg gemacht, und was machen sie heute?«
    »Vielleicht unterschätzt du Enders; er war nicht nur nett, er war - nun, er hat nie vom Sakrament des Büffels gekostet, warum es nicht so einfach sagen, wie Edith es sagte? Enders ist Priester geworden; er hat nach dem Krieg ein paar Predigten gehalten, die mir unvergeßlich sind; es würde schlecht klingen, wenn ich seine Worte wiederholte, aber wenn er sie sagte, klang es gut.«
    »Was macht er jetzt?«
    »Sie haben ihn in ein Dorf gesteckt, das nicht einmal Bahnanschluß hat; da predigt er über die Köpfe der Bauern, die Köpfe der Schulkinder hinweg; sie hassen ihn nicht, verstehen ihn einfach nicht, verehren ihn sogar auf ihre Weise wie einen liebenswürdigen Narren; sagt er ihnen wirklich, daß alle Menschen Brüder sind? Sie wissen es besser und denken wohl heimlich: ›Ist er nicht doch ein Kommunist?‹ Mehr fällt ihnen dann nicht ein; die Anzahl der Schablonen hat sich verringert, Schrella; niemand wäre auf die Idee gekommen, deinen Vater für einen Kommunisten zu halten, nicht einmal Nettlinger war so dumm - heute würden sie deinen Vater nicht anders einordnen können. Enders würde die Lämmer weiden, aber man gibt ihm nur Böcke; er ist verdächtig, weil er die Bergpredigt so oft zum Gegenstand seiner Predigten macht; vielleicht wird man eines Tages entdecken, daß sie ein Einschiebsel ist, und wird sie streichen - wir wollen Enders besuchen, Schrella, und wenn wir mit dem Abendbus zur Bahnstation zurückfahren, werden wir
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    mehr Verzweiflung als Trost mit zurücknehmen; der Mond ist mir vertrauter als dieses Dorf - wir werden ihn besuchen, Barmherzigkeit

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