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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Wenn ich die Augen wieder schloß, teilte sich die Zeit wie ein Spektrum: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, in fünfzig Jahren würden meine ältesten Enkel schon
    fünfundzwanzig sein, meine Söhne schon so alt wie die würdigen Herren, denen ich mich eben ausgeliefert hatte, als ich meinen Entwurf übergab. Ich tastete nach der Quittung; sie war da; wirklich; morgen früh würde die Jury zusammentreten und die veränderte Lage feststellen: ein vierter Entwurf; die schon gebildeten Parteien, zwei für Grumpeter, zwei für Brehmockel, und einer, der wichtigste, jüngste und kleinste von den fünfen, der Abt, für Wollersein; der Abt liebte Romantik; heiß würde es hergehen, denn die beiden bestechlichen Jurymitglieder würden am heftigsten künstlerisch zu argumentieren haben; Vertagung; dieser hergelaufene junge Bengel hat uns das Konzept verdorben; beunruhigt hatten sie festgestellt, daß dem Abt mein Entwurf offensichtlich gefiel; immer wieder war er vor der Zeichnung stehengeblieben, nippte an seinem Wein; organisch war das Ganze in die Landschaft eingefügt, so klar die
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    Nützlichkeit des landwirtschaftlichen Gevierts gegen das strenge Geviert des Kreuzgangs und der Klausur abgesetzt; Brunnen, Pilgerherberge, alles gefiel ihm; er lächelte: dort würde er Primus inter pares sein; er stieg schon in den Entwurf hinein wie in sein Eigentum, regierte im Refektorium, saß im Chor, besuchte die kranken Brüder, ging zum Ökonomen hinüber, den Wein zu prüfen, das Korn durch seine Hände rinnen zu lassen; Brot für seine Brüder und für die Armen, auf seinen Äckern geerntetes Korn, dort hatte der junge Architekt für die Bettler eine kleine überdachte Kammer geschaffen, gleich neben der Pforte, draußen Bänke für den Sommer, drinnen Stühle, ein Tisch, ein Ofen für den Winter. ›Meine Herren, es gibt keinen Zweifel für mich, ich stimme ohne jede Einschränkung für den -
    wie heißt er doch - für den Fähmelschen Entwurf; und sehen Sie, die Kosten: dreihunderttausend Mark unter dem billigsten der drei andren; trockener Siegellack von den aufgebrochenen Wunden bedeckte den Tisch, auf den jetzt Fachmänner ihre Fäuste schlugen, das große Palaver zu beginnen: ›Glauben Sie uns doch, Ehrwürdiger Vater, wie oft schon hat jemand unterboten, aber was wollen Sie tun, wenn er uns vier Wochen vor dem Richtfest kommt und erklärt, die Puste sei ihm ausgegangen; Baukostenüberschreitungen von einer halben Million sind bei solchen Projekten keine Seltenheit. Glauben Sie erfahrenen Männern. Welche Bank wird für einen unerfahrenen, völlig unbekannten jungen Mann bürgen, die Garantiesumme bereitlegen? Hat er Vermögen?‹ Großes Gelächter fiel über den jungen Abt: ›Vermögen laut eigener Angabe: achttausend Mark.‹ Palaver. Verärgert schieden die Herren voneinander.
    Keiner war dem Abt beigesprungen. Vertagt um vier Wochen.
    Wer hatte diesem kahlgeschorenen Bauernjungen, der knapp dreißig war, laut Satzung die entscheidende Stimme gegeben, so daß gegen ihn nicht, mit ihm sofort entschieden werden konnte.
    Da schnurrten die Telefone, rannten schwitzende Boten mit Eilbriefen vom Regierungspräsidenten zum Erzbischof, vom
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    Erzbischof zum Priesterseminar, wo der Vertrauensmann des Erzbischöflichen Stuhles gerade die Vorzüge der Neugotik pries; der rannte mit knallrotem Gesicht zur wartenden Droschke, Hufe entfernten sich klappernd über
    Kopfsteinpflaster, knirschende Räder nahmen kühne Kurven; Eile, Eile; Bericht! Bericht! Fähmel? Nie gehört. Der Entwurf?
    Technisch glänzend, kalkulatorisch - man muß es zugeben, Exzellenz -, soweit überschaubar, überzeugend, aber der Stil?
    Gräßlich; nur über meine Leiche; Leiche? Der Erzbischof lächelte; Künstlernatur, der Professor, feurig, zuviel Gefühl, zu viele wehende weiße Lockenhaare; Leiche, na, na; da gingen chiffrierte Anfragen von Grumpeter an Brehmockel, von Brehmockel an Wollersein, da versöhnten sich die zu Tode verfeindeten Koryphäen für einige Tage, fragten einander in chiffrierten Briefen und Telefonaten: ›Ist Blumenkohl verderblich?‹ - was bedeuten sollte: ›Sind Abte absetzbar?‹ -, kam die niederschmetternde Antwort: ›Blumenkohl ist nicht verderblich.‹
    Viereinhalb Wochen lang untergetaucht; wie friedlich war mein Grab; da rutschte die Erde langsam nach, schob sich sanft neben und über mir zurecht; während der Wechselgesang der Arbeiterinnen mich betäubte, nichts zu tun war besser, aber nun würde ich

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