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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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handeln, handeln müssen, wenn sie mein Grab öffneten, den Deckel hoben; sie würden mich zurückwerfen in die Zeit, in der jeder Tag einen Namen, jede Stunde eine Pflicht enthalten würde; das Spiel würde ernst werden; nicht mehr gegen zwei die Erbsensuppe aus meiner kleinen Küche geholt; ich wärmte sie schon nicht mehr, aß sie kalt; ich machte mir nichts aus Essen, nichts aus Geld und aus Ruhm; ich liebte das Spiel, machte mir etwas aus meiner Zigarre und sehnte mich nach einer Frau, nach meiner Frau. Würde es die sein, die ich drüben auf dem Dachgarten sah, schwarzhaarig, schlank und hübsch; Johanna Kilb? Morgen würde sie meinen Namen wissen; sehnte ich mich nach irgendeiner, oder nach ihr? Ich
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    konnte es nicht länger ertragen, immer nur mit Männern zusammen zu sein, fand sie alle lächerlich; die Frommen und die Unfrommen; die Zoten erzählten, und die, die sie sich erzählen ließen, Billardspieler, Reserveleutnants, Sänger, den Portier und die Kellner; ich war ihrer überdrüssig, freute mich auf die Abendstunden von fünf und sechs, auf die Gesichter der Arbeiterinnen, in deren Strom ich durch die Toreinfahrt ging; ich liebte die Sinnlichkeit auf ihren Gesichtern, die der Vergänglichkeit ungebrochen ihren Zoll zahlten, und wäre am liebsten mit einer von ihnen tanzen gegangen, hätte mit ihr an der Friedhofsmauer im herbstlich duftenden Gras gelegen - die Quittung zerrissen, das große Spiel abgebrochen -, diese Mädchen lachten, sangen, aßen gern und tranken gern, weinten und waren nicht wie die falschen Ziegen, die mich als möblierten Herrn zu Zärtlichkeiten herausforderten, die sie für kühn hielten. Noch gehörten sie mir, die Figuren und Requisiten, gehorchten mir die Komparsen, an diesem letzten Tag, an dem ich keine Lust auf die kalte Erbsensuppe hatte und zu faul war, sie mir zu wärmen; ich wollte das Spiel zu Ende spielen, ausgedacht in der Langeweile von
    Kleinstadtnachmittagen, wenn ich genug Mörtel geprüft, Steine begutachtet, die Gradheit von Mauern festgestellt hatte und die Langeweile in düsteren Kneipen der Langeweile im Büro vorzog, auf winzigen Zetteln die Abtei zu entwerfen begann.
    Das Spiel ließ mich nicht mehr los; die Zeichnungen wurden größer, die Vo rstellungen genauer, und fast ohne es zu merken, befand ich mich plötzlich mitten in der Kalkulation; rechnen gelernt, zeichnen gelernt; bitte; ich schickte fünfzig Goldmark an Kilb und bekam die Unterlagen geschickt; besuchte Kisslingen an einem Sonntagnachmittag; blühende
    Weizenäcker, dunkelgrüne Rübenäcker, Wald, wo die Abtei einmal stehen sollte; ich spielte weiter, studierte die Gegner, deren Namen von Kollegen mit andächtigem Haß
    ausgesprochen wurden: Brehmockel, Grumpeter, Wollersein;
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    ich sah mir ihre Bauwerke an, Kirchen, Krankenhäuser, Kapellen, Wollersteins Dom; ich spürte es, roch es angesichts dieser trostlosen Baulichkeiten, die Zukunft lag griffbereit da, wie ein Land, das zu erobern war, unbekannter Boden, in dem Goldstücke vergraben lagen, he rauszuholen von jedem, der sich nur ein wenig mit Strategie beschäftigen würde; ich nahm die Zukunft in die Hand; ich brauchte nur zuzugreifen; Zeit war plötzlich eine Macht, wurde mißachtet, verstrich ungenutzt, während ich Stümpern und Heuchlern die Geschicklichkeit meiner Hände und die Mathematik meines Gehirns für ein paar Goldstücke überließ; Papier gekauft, Tabellen, Stifte und Handbücher; Spiel, das mich nur eins kostete: Zeit; sie war da, war geschenkt; die Sonntage waren Erkundungstage: Terrain besichtigt, Straßen durchschritten: Modestgasse, im Haus Nummer 7 war ein Atelier zu vermieten; im Haus gegenüber, Nummer 8, wohnte der Notar, der die Entwürfe unter Siegel hielt; die Grenzen waren offen, ich brauchte nur
    einzumarschieren; und jetzt erst, tief drinnen im zu erobernden Land, schon halb sein Besitzer, jetzt erst hatte ich, während der Feind noch schlief, die Kriegserklärung abgegeben; ich suchte noch einmal nach meiner Quittung; sie war da.
    Übermorgen würde der erste Besucher die Schwelle des Ateliers überschreiten; der Abt, jung, braunäugig, nüchtern; obwohl er Herrschaft noch nicht ausgeübt hatte, doch schon herrschgewohnt. ›Woher wußten Sie, daß die Trennung zwischen Brüdern und Mönchen im Refektorium nicht von unserem Heiligen Vater Benedikt vorgesehen war?‹ Er schritt auf und ab, blickte immer wieder in den Entwurf, fragte:
    ›Werden Sie durchhalten, werden nicht schlappmachen,

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