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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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heimliche Lachen in sich wie eine Feder; war er ihre Beute oder sie die seine?
    Vorsicht, Vorsicht! Warum immer so aufrecht, so ungebeugt?
    Ein Fehltritt nur und du fällst in die blaue Unendlichkeit hinunter, zerschellst hier unten an der Betonmauer des Komposthaufens; die welken Blätter werden den Aufprall nicht mildern, die Treppeneinfassung aus Granit ist nicht Polster genug; war er's? Wer? Demütig stand der Wärter Huperts in der Tür: Tee, Kaffee, Bier, Wein oder Cognac für den Besucher?
    Augenblick bitte; Friedrich wäre zu Pferde gekommen, niemals hätte er den gelben Bus bestiegen, der wie ein Käfer oben an der Mauer zurückkroch; und Bruno nie ohne Stock, er schlug die Zeit damit tot, zerhackte sie; schlug sie mit dem Stock klein oder zerschnitt sie mit Spielkarten, die er ihr wie Klingen
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    entgegenwarf, nächtelang, tagelang, Friedrich wäre zu Pferde gekommen und Bruno nie ohne Stock; weder Cognac für Friedrich noch Wein für Bruno; sie waren tot, törichte Ulanen ritten bei Erby- le-Huette ins Maschinengewehrfeuer; hatten geglaubt, sich der Bürgertugenden durch Bürgerlaster entledigen zu können, Frömmigkeitsübungen durch Zoten auszulöschen; unbekleidete Ballettratten auf Clubhaustischen kränkten die würdigen Ahnen nicht, da diese nicht so würdig gewesen waren, wie die Galerie sie zeigte; Cognac und Wein für immer von der Getränkekarte gestrichen, lieber Huperts. Vielleicht Bier? Ottos Schritt war nicht so elastisch, war Marschschritt, der Feindschaft, Feindschaft auf die Fliesen des Flurs trommelte, Feindschaft aufs Pflaster, die ganze Modestgasse hinunter; der hatte schon früh vom Sakrament des Büffels gegessen; oder ob der sterbende Bruder den Namen an Otto weitergab: Hindenburg? Vierzehn Tage nach Heinrichs Tod ist Otto geboren; gefallen bei Kiew; ich will mir nichts mehr vormachen, Huperts; Bruno und Friedrich, Otto und Edith, Johanna und Heinrich: alle tot.
    Auch nicht Kaffee; es ist nicht der, dessen heimliches Lachen ich aus jedem seiner Schritte heraushörte; er ist älter; für diesen hier Tee, Huperts, frisch, stark, mit Milch, aber ohne Zucker, für meinen Sohn Robert, den Ungebeugten, Aufrechten, der sich immer von Geheimnissen nährte; auch jetzt eins in der Brust trägt; sie haben ihn geschlagen, pflügten seinen Rücken auf, aber er beugte sich nicht, gab sein Geheimnis nicht preis, verriet nicht meinen Vetter Georg, der ihm in der ›Hunnen-Apotheke‹
    das Schwarzpulver gemischt hatte; hangelt sich da zwischen den beiden Leitern herunter, schwebt wie Ikarus mit ausgebreiteten Armen auf den Eingang zu, wird nicht im Kompostbecken landen, nicht am Granit zerschellen. Tee, lieber Huperts, frisch und stark, mit Milch, aber ohne Zucker; und Zigaretten, bitte, für meinen Erzengel: der bringt mir dunkle Botschaften, die nach Blut schmecken, nach Aufruhr und Rache: sie haben den
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    blonden Jungen getötet; der lief die hundert Meter in 10,9; der lachte, sooft ich ihn sah, und ich sah ihn nur dreimal; der reparierte mir mit seinen geschickten Händen das winzige Schloß an der Schmuckkassette, an dem sich Tischler und Schlosser vierzig Jahre lang vergeblich versucht hatten; er faßte es nur an, und es ging wieder; er war kein Erzengel, nur ein Engel, hieß Ferdi und war blond, ein Tor, der glaubte, er komme mit Knallbonbons gegen die an, die vom Sakrament des Büffels gegessen hatten; der trank weder Tee noch Wein, nicht Bier, Kaffee oder Cognac, der hielt einfach seinen Mund an den Wasserhahn und lachte; er würde mir, wenn er noch lebte, ein Gewehr besorgen; oder der andere, dunkle, ein Engel, dem das Lachen verboten war, Ediths Bruder; sie nannten ihn Schrella; das war so einer, den man nie beim Vornamen nennt; Ferdi würde es tun, er würde das Lösegeld zahlen, mich aus diesem Schloß, in das ich verwünscht bin, herausholen, mit einem Gewehr; so aber bleibe ich verwünscht; nur durch riesige Leitern ist die Welt erreichbar; mein Sohn steigt zu mir herunter.
    »Guten Tag, Robert, du magst doch Tee? Zuck nicht zusammen, wenn ich dich auf die Wange küsse; du siehst aus wie ein Mann, ein Vierziger, hast graue Haare an den Schläfen, enge Hosen an und eine himmelblaue Weste; ist das nicht zu auffällig? Vielleicht ist's gut, so als Herr in den mittleren Jahren getarnt zu sein; du siehst aus wie ein Chef, den man gern mal husten hören würde, der aber zu fein ist, sich so etwas wie einen Husten zu leisten; verzeih, wenn ich lache; wie geschickt die Friseure

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