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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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für das Projekt, dessen Urheber ihm die höchste Bestechung zugesichert hatte, wechselte, wenn er sah, daß das Projekt keine Chancen hatte, zum Favoriten über; denn er zog es vor, ja anstatt nein zu sagen, aus dem Grunde, weil ein Ja zwei, ein Nein aber vier Buchstaben hat und den schrecklichen Nachteil, daß es nicht mit Gaumen und Zunge allein zu bewerkstelligen ist, sondern eine Verlagerung der Sprechenergie fast bis in die Nasenwurzel hinein erfo rdert; zudem noch eine entschlossene Miene, während das Ja diese Anstrengung nicht erfordert; auch Krohl seufzte, auch er schüttelte den Kopf, mied die drei Gekränkten, ging in die andere Ecke des Flures, auf die Nazarener zu.
    Sekundenlang blieb im Lichtviereck der Tür nur der Tisch mit dem grünen Filz sichtbar, Wasserkaraffe, Aschenbecher, blaue Wolken von Krohls Zigarre; Stille da drinnen, nicht mal Geflüster zu hören; Todesurteile hingen in der Luft; ewige Feindschaften wurden geboren; da ging es für Hubrich um Ehre oder Schande, die auf immerdar von seinem Haupte abzuhalten er sich schon als verbissener Quintaner geschworen hatte; ging um die schreckliche Demütigung, dem Erzbischof eingestehen zu müssen, daß er geschlagen worden war. ›Na, und Ihre Leiche, Hubrich?‹ würde der humorvolle Fürst sagen; es ging für Krohl um eine Villa am Corner See, die Brehmockel ihm versprochen hatte.
    Gemurmel klang in der Wärterreihe auf: Meeser gebot durch ein Zischen Ruhe. Schwebringer trat aus der Tür, klein war er, zart wie ich, galt nicht nur als unbestechlich, sondern war es auch; trug abgewetzte Breeches, gestopfte Strümpfe; schwärzlich der kahlgeschorene Schädel, ein Lächeln in den Korinthenaugen; Schwebringer vertrat das Geld, verwaltete den Fonds, den die Nation ge gründet hatte; er vertrat die Industriellen und den König, vertrat aber auch den Kaufmannsgehilfen, der einen Zehner, das alte Mütterchen, das
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    dreißig Pfennig gestiftet hatte; Schwebringer würde die Konten lockern, Schecks ausschreiben, Rechnungen kontrollieren, mit säuerlicher Miene Vorschüsse genehmigen; er war Konvertit, seine geheime architektonische Leidenschaft war das Barock, er liebte schwebende Engel, mit Gold bemalte Chorstühle, geschweifte Predigtstühle, weißlackierte Kanzeln, liebte Weihrauch, den Gesang von Knabenchören. Schwebringer war Macht: ihm gehorchten Bankkonsortien wie
    Eisenbahnschranken dem Wärter; er regulierte Kurse, befehligte Stahlwerke; mit seinen harten dunklen Korinthenaugen sah er aus, als hätte er vergeblich alle erreichbaren Laxativa ausprobiert und wartete auf die Erfindung des wahren, wirklich helfenden Mittels; er nahm den Cognac, ohne ein Trinkgeld aufs Tablett zu legen; zwei Schritte entfernt nur stand er, sah aus wie ein gescheiterter Berufsradfahrer, mit seinen Breeches, seinen gestopften Strümpfen, blickte plötzlich mich an, lächelte, stellte sein leeres Cognacglas hin und ging in die Niederländerecke, wo auch Hubrich verschwunden war; auch Schwebringer würdigte die drei Gekränkten keines Worts.
    Geflüster wurde im Sitzungszimmer vernehmbar, offenbar sprach der Abt auf Gralduke ein; sichtbar waren nur der grüne Tisch, der Aschenbecher, die Wasserkaraffe; die Hinrichtung war verschoben; Streit lag in der Luft; immer noch schien das Richterkollegium uneins zu sein.
    Gralduke kam heraus, nahm zwei Gläser von Meesers Tablett, blieb einen Augenblick zögernd stehen, blickte in Krohls Richtung; er war groß, von gewaltigem Ausmaß, korrekter, als die Tränensäcke unter seinen Augen hätten vermuten lassen; Gralduke vertrat das Recht, beobachtete die juristische Korrektheit des Abstimmungsvorgangs, führte Protokoll.
    Gralduke wäre fast selber Mönch geworden; zwei Jahre lang hatte er gregorianische Liturgie gesungen, die er immer noch liebte; war dann in die Welt zurückgekehrt, um ein bildschönes Mädchen zu heiraten, dem er fünf bildschöne Töchter zeugte,
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    thronte jetzt als Oberpräsident über den Landen; er hatte die Grundstücke stiften lassen, Äcker und Wiesen und Wälder in mühseliger Kleinarbeit aus Katasterverstrickungen gelöst; hatte hartnäckige Bürgermeister bearbeitet, hatte Fischrechte in elenden Tümpeln ablösen müssen, Hypotheken versilbern, Banken und Versicherungen beruhigen müssen.
    Langsam ging es ins Sitzungszimmer zurück; von der schmalen Abthand wurde Meeser herbeibefohlen, der für eine halbe Minute verschwand, wiedererschien, seine Stimme hob und in den Flur hineinrief:

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