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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›Bin beauftragt, den Herren von der Jury mitzuteilen, daß die Pause um ist.‹ Als erster kam Krohl aus der Nazarenerecke zurück, das Ja war von seinem Gesicht schon abzulesen; Schwebringer kam allein als erster aus der Niederländerecke, ging rasch ins Zimmer; Hubrich als letzter, sah bleich aus, zu Tode getroffen, ging kopfschüttelnd an den drei Gekränkten vorüber; Meeser schloß hinter ihm die Tür, blickte auf sein Tablett, auf die neun leeren Cognacgläser, klimperte verächtlich mit der geringen Ausbeute an Trinkgeld, ich ging auf ihn zu, warf ihm einen Taler aufs Tablett: es klang laut und hart, erschrocken blickten die drei Gekränkten auf; Meeser grinste, nahm die Hand dankend an die Mütze, flüsterte:
    ›Und du bist doch nur der Sohn eines übergeschnappten Küsters.‹
    Längst waren draußen keine Droschken mehr zu hören; ›La Traviata‹ hatte begonnen; starr standen die Wärter Spalier, zwischen Legionären und Matronen, zwischen abgebrochenen Tempel-Säulen; Lärm brach in den kalten Abend wie Wärme ein; Presseleute hatten den ersten Wärter überrannt, schon hob der zweite hilflos die Arme, blickte der dritte zu Meeser hin, der in Zischlauten Ruhe gebot; ein junger Journalist, der an Meeser vorbeigewischt war, kam auf mich zu, wischte sich die Nase mit dem Rockärmel ab, sagte leise zu mir: ›Klarer Sieg für Sie.‹ Im Hintergrund warteten zwei würdige Feuilletonredakteure, mit schwarzen Hüten, bärtig, vom Pathos seelenvoller Verse
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    ausgehöhlt, hielten die würdelosere Masse zurück: ein bebrilltes Mädchen, einen hageren Sozialisten; bis der Abt die Tür öffnete, rasch, atemlos wie ein Junge auf mich zukam, mich umarmte, während eine Stimme ›Fähmel‹ rief, ›Fähmel‹.
    Lärm drang herauf; ze hn Minuten nachdem das Beben der Fensterbank aufgehört hatte, verließen lachende Arbeiterinnen das Tor, trugen stolze Sinnlichkeit in den Feierabend; warmer Herbsttag, an dem das Gras an der Friedhofsmauer duften würde; Gretz war heute seinen Keiler nicht losgeworden, dunkel und trocken war die blutige Schnauze; im Wechselrahmen der Dachgarten drüben: der weiße Tisch, die grüne Holzbank, die Pergola mit der müden Kapuzinerkresse; würden Josephs Kinder, Ruths Kinder drüben einmal auf und ab gehen, Kabale und Liebe lesen; hatte er Robert je da drüben gesehen? Nie, der hockte in seinem Zimmer, übte im Garten, Dachgärten waren zu klein für den Sport, den er trieb: Schlagballspiel, Hundertmeterlauf.

    Ich hatte immer ein wenig Angst vor ihm, erwartete Ungewöhnliches, war nicht einmal erstaunt, als der mit den hängenden Schultern ihn pfändete; wenn ich nur wüßte, wie der Junge hieß, der die winzigen Zettel mit Roberts Botschaften in unseren Briefkasten warf; ich hab's nie erfahren, auch Johanna konnte es aus Dröscher nicht herausbekommen; dem Jungen gebührt das Denkmal, das sie mir setzen werden; ich brachte es nicht fertig, Nettlinger die Tür zu weisen und diesem Wakiera das Betreten von Ottos Zimmer zu verbieten, sie brachten das Sakrament des Büffels in mein Haus, verwandelten den Jungen, den ich liebte, in einen Fremden, den Kleinen, den ich mit auf Baustellen nahm, mit auf die Gerüste. Taxi? Taxi? War es das Taxi des Jahres 1936, als ich mit Johanna in den ›Anker‹ fuhr, zum oberen Hafen; das Taxi des Jahres 1942, mit dem ich sie in die Heilanstalt nach Denklingen brachte? Oder das des Jahres 1956, als ich mit Joseph nach Kisslingen fuhr, ihm die Baustelle
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    zu zeigen, wo er, mein Enkel, Roberts und Ediths Sohn, für mich wirken sollte; zerstört die Abtei, ein wüster Haufen von Steinen und Staub und Mörtel; gewiß hätten Brehmockel, Grumpeter und Wollersein triumphiert bei diesem Anblick; ich triumphierte nicht, als ich den Trümmerhaufen im Jahr 1945
    zum ersten Mal sah; ging nachdenklich umher, ruhiger, als man offenbar von mir erwartet hätte; hatten sie Tränen erwartet, Empörung? ›Wir werden den Schuldigen finden.‹ ›Warum?‹
    fragte ich, ›lassen Sie ihn doch in Frieden.‹ Ich hätte zweihundert Abteien gegeben, wenn ich Edith dafür hätte zurückbekommen können, Otto, oder den unbekannten Jungen, der die Zettelchen in unseren Briefkasten warf und so teuer dafür bezahlen mußte; und wenn auch der Tausch nicht angenommen wurde, ich war froh, wenigstens das bezahlt zu haben: einen Haufen Steine, mein ›Jugendwerk‹. Ich bot sie Otto und Edith, dem Jungen und dem Tischlerlehrling an, obwohl ich wußte, daß es ihnen nichts

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