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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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gemacht. Hier, nimm noch Tee; in Holland trinken sie doch guten Tee; hab keine Angst: Edith wird eine gute Frau sein, du wirst rasch dein Examen machen; ich werde euch eine Wohnung einrichten, und vergiß nicht, heimlich zu lächeln, wenn du zum Militär mußt; halte dich still und denk daran: in einer Welt, in der Handbewegungen
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    das Leben kosten können, kommt es auf solche Gefühle nicht mehr an; ich werde euch eine Wohnung einrichten; Vater wird sich freuen; er ist nach Sankt Anton hinausgefahren - als ob er dort Trost finden würde. Es zittern die morschen Knochen, mein Junge - sie haben Vaters heimliches Lachen getötet, die Feder ist gesprungen: für diesen Druck war sie nicht geschaffen; da nützt dir das hübsche Wort Tyrannen nichts mehr; Vater hält es nicht aus, im Atelier drüben zu hocken, und Ottos Hülle flößt ihm Schrecken ein; du solltest versuchen, dich mit Otto zu versöhnen, bitte, versuche doch; bitte, geh.«
    Versöhnungsversuche mit Otto; er hatte schon viele vollzogen, war Treppen hinaufgestiegen, hatte an Zimmertüren geklopft; dieser untersetzte Junge da war ihm nicht einmal fremd, die Augen blickten ihn nicht einmal wie einen Fremden an; hinter dieser breiten, blassen Stirn war die Macht in ihrer einfachsten Formel wirksam, war Macht über furchtsame Schulkameraden, über Passanten, die die Fahne nicht grüßten; Macht, die rührend hätte sein können, wäre sie nur in Vorstadtsporthallen wirksam geworden, oder an Straßenecken, hätte es sich um drei Mark für einen gewonnenen Boxkampf oder um buntgekleidete Mädchen gehandelt, die der Sieger ins Kino führen, in Hauseingängen küssen durfte; aber an Otto war nichts Rührendes, wie er es manchmal an Nettlinger entdeckte; dieser Macht ging es nicht um gewonnene Boxkämpfe, um buntgekleidete Mädchen; sogar in diesem Hirn war die Macht schon Formel geworden, der Nützlichkeit entkleidet, von Instinkten befreit, war fast ohne Haß, vollzog sich automatisch: Schlag auf Schlag.
    Bruder, ein großes Wort, Hölderlinwort, gewaltig, das aber nicht einmal der Tod zu füllen schien, wenn es Ottos Tod war; nicht einmal die Todesnachricht hatte Versöhnung gebracht: Gefallen bei Kiew! Das hätte doch klingen können: nach Tragik, Größe, Brüderlichkeit, hätte verbunden mit dem Lebensalter rührend sein können wie auf Grabsteinen: fünfundzwanzig Jahre
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    alt, gefallen bei Kiew; aber es klang nicht, und er bemühte sich vergebens, die Versöhnungsversuche nachzuvollziehen; ihr seid doch Brüder; sie waren es, laut Standesamtsregister, laut Aussage der Hebamme; vielleicht hätte er Rührung und Größe fühlen können, wenn sie einander wirklich fremd gewesen wären, aber sie waren es nicht; er sah ihn essen, trinken: Tee, Kaffee, Bier; aber Otto aß nicht das Brot, das er aß, trank nicht die Milch und den Kaffee, den er trank; und es war noch schlimmer mit Worten, die sie wechselten: wenn Otto Brot sagte, klang es weniger vertraut in den Ohren wie das Wort
    ›pain‹, als er es zum ersten Mal hörte und noch gar nicht wußte, daß es Brot bedeutete; einer Mutter und eines Vaters Söhne, in einem Haus geboren und aufgewachsen, gegessen, getrunken, geweint, dieselbe Luft geatmet, denselben Schulweg gehabt; und zusammen gelacht, gespielt, und er hatte zu Otto ›Brüderchen‹
    gesagt und den Arm des Bruders um seinen Hals gespürt, seine Angst vor der Mathematik erfahren, ihm geholfen, tagelang mit ihm gepaukt, um ihm die Angst zu nehmen, und hatte es fertiggebracht, ihm die Angst wirklich zu nehmen, dem Brüderchen - und nun plötzlich, nach den zwei Jahren, die er weg gewesen war: nur noch Ottos Hülle; nicht einmal mehr fremd; nicht einmal das Pathos dieses Wortes; es zog nicht, stimmte und klang nicht, wenn er an Otto dachte, und er begriff zum ersten Mal, was es wirklich bedeutete, Ediths Wort, vom Sakrament des Büffels essen; der hätte seine Mutter dem Henker ausgeliefert, wenn die Henker sie hätten haben wollen.
    Und wenn er zu einem der Versöhnungsversuche wirklich hinaufgestiegen war, Ottos Tür geöffnet hatte, eingetreten war, drehte Otto sich um und fragte: ›Was soll's?‹ Otto hatte recht: was sollte es. Wir waren einander nicht einmal fremd, kannten einander genau, wußten voneinander, daß der eine Apfelsinen nicht mochte, der andere lieber Bier als Milch trank, statt Zigaretten lieber Zigarillos rauchte, und wie der eine sein Lesezeichen im Schott zurechtlegte.
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    Er wunderte sich nicht, daß er Ben

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