Bille und Zottel 09 - Im Sattel durch den Sommer
denn nun heute, wir wollten doch feiern?“ fragte Tom und sprang vom Fahrrad.
„Wie wär’s mit einem Picknick am Strand?“ schlug Bille vor. „Wir nehmen unser Badezeug und was Leckeres zu essen und zu trinken mit und reiten zur Ostsee hinüber.“
„Super! Wo treffen wir uns? Am besten bei euch in Groß-Willmsdorf, gleich nach dem Mittagessen!“ rief Bettina. „Los, komm, Simon! Beeil dich! Um so eher haben wir die Pferde fertig.“
„Okay, bis später.“
Bettina und Simon starteten zu einem privaten Radrennen, während Tom zwischen den dichten Hecken verschwand, die den Feldweg umrahmten wie hohe Mauern. Bille sah ihm nach, wie er hin und her kurvte, um den Schlaglöchern und Furchen auszuweichen, die Traktoren und Landwirtschaftsmaschinen in dem lehmigen Boden hinterlassen hatten. Wenn man nicht aufpaßte und in eine der eingetrockneten Rinnen geriet, konnte man ganz schön auf die Nase fallen.
„Ich bin ein Rindvieh!“ sagte Bille laut vor sich hin. Wie hatte sie nur in so eine trübe, miese Stimmung verfallen können! Wer konnte es besser haben als sie? Freunde, Pferde, einen Jungen, der sie liebte und der dabei war, ein großer Turnierreiter zu werden, ein gutes Zeugnis, dufte Eltern, mit denen sie sich gut verstand — was zum Teufel wollte sie denn noch?
Und dazu wochenlange Ferien, in denen sie den ganzen Tag im Stall und in der Reitbahn arbeiten konnte! Du lieber Himmel, ich habe so viel zu tun, daß mir gar keine Zeit bleiben wird, um Simon zu trauern, dachte sie. Und wenn es mich wirklich packt, werde ich ihm lange Briefe schreiben. Und ich werde mich auf seine Briefe freuen und jeden Turnierbericht lesen, jede Reportage im Fernsehen verfolgen! Wirklich, sie hatte keinen Grund, Trübsal zu blasen!
Im Straßengraben neben ihr blitzte etwas auf, ein Stück Metall, eine abgerissene Fahrradklingel vielleicht... Bille mußte lächeln. Mit einem Fahrradsturz in den Graben hatte alles angefangen, damals, vor drei Jahren. Damals hatte sie nichts von alldem besessen, was heute so selbstverständlich war, nichts
- außer ihren Träumen und hin und wieder einem heimlichen Besuch im Pferdestall von Groß-Willmsdorf.
Diese Träume vom Reiten hatten schließlich zu dem glücklichen Unglücksfall geführt, der sie — überrascht von einem plötzlich auftauchenden Wagen — in hohem Bogen in den Straßengraben befördert hatte, und kurze Zeit später in diesen Wagen, an die Seite ihres angebeteten Idols, des Turnierreiters Hans Tiedjen.
Das war der Anfang ihrer Freundschaft mit Toms Vater gewesen, den sie heute Daddy nennen durfte, und der sie wie eine Tochter behandelte. Damals hätte sie nicht zu hoffen gewagt, daß sie einmal all seine Pferde reiten, und daß Groß-Willmsdorf ihr zweites Zuhause werden würde.
Damals hatte sie mit Mutsch noch allein in dem kleinen Strohdachhaus gelebt. Onkel Paul war noch jeden Morgen in Mutschs kleines Lebensmittelgeschäft gekommen und hatte nicht den Mut gefunden, zwischen Brötcheneinkauf und dem neuesten Dorfklatsch Mutsch zu sagen, wie gern er sie hatte, und daß er sie heiraten wolle. Nein, gestritten hatten sich die zwei, daß die Fetzen flogen!
„Da mußte erst ich kommen und nachhelfen!“ murmelte Bille und kicherte.
Vor drei Jahren, da hatten sie auch die drei Peershofer Jungen noch nicht gekannt, und auch Bettina nicht, ihre Adoptivschwester , die später Billes beste Freundin wurde. Und von Toms Existenz hatte sie keine Ahnung gehabt, Hans Tiedjens Sohn, der in Amerika bei seiner Mutter gelebt hatte.
Was war in diesen drei Jahren alles geschehen! Mutsch und Onkel Paul hatten geheiratet. Onkel Paul hatte ein Haus für sie alle gebaut, und in das alte Strohdachhaus waren Billes Schwester Inge und ihr Mann gezogen. Zottel war in ihr Leben getreten, trauriges, heruntergekommenes Überbleibsel aus einem pleite gegangenen Zirkus. Heute konnte sich Bille nicht mehr vorstellen, daß es je ein Leben ohne ihren rot-weiß gesprenkelten, frechen vierbeinigen Freund gegeben hatte!
Sie hatte reiten gelernt und ihr erstes Turnier gewonnen.
Tom war aufgetaucht und hatte sie ganz einfach als kleine Schwester akzeptiert. Und dann war das mit Simon passiert. Keiner von ihnen konnte sagen, wann und wie sie sich eigentlich ineinander verliebt hatten. Es war so selbstverständlich, als wäre es von Anfang an nicht anders bestimmt gewesen.
Ich bin stolz auf ihn, dachte Bille. Und ich freue mich, daß er jetzt viele große Turniere mitmachen wird. Wahrhaftig, ich
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