Bille und Zottel 09 - Im Sattel durch den Sommer
den Grübchen, mit der widerspenstigen, dunklen Mähne, Tom mit den behutsamen Händen und der behutsamen Seele, die er unter einer lauten Munterkeit zu verstecken pflegte. Tom, den sie vier Wochen lang nicht sehen würde.
Bettina schluckte.
„Du hast recht“, sagte sie und versuchte es mit einem übermütigen Auflachen, „wenigstens heute wollen wir feiern.“
„Ich schreibe dir jeden Tag, okay?“ Tom legte tröstend seinen Arm um Bettinas Schultern. „Mir ist genauso zumute wie dir. Vier Wochen ohne dich, vier Wochen ohne unsere Pferde, unsere Freunde — es wird gräßlich werden. Meine Mutter wird mich auf Partys schleppen, mich Leuten vorzeigen, die ich nicht ausstehen kann, und von morgens bis abends ein lückenloses Programm aufstellen, angefüllt mit Dingen, die mich anöden!“
„Armer Tom! Leiden wir also beide gemeinsam. Getrennt, aber gemeinsam. Komm, gehen wir zu den anderen zwei Trauerklößen.“
Bille und Simon lehnten am Koppelgatter und beobachteten die Mutterstuten mit ihren Fohlen. Iris, die zierliche Rappstute mit ihrer kleinen Tochter Irina, drängte sich zu Bille heran und blies ihr übermütig ins Gesicht. Bille streichelte das samtweiche Pferdemaul, während neben ihr Simon den Kopf des Fohlens kraulte.
„Sie wird ein Ebenbild ihrer Mutter, findest du nicht?“
„Ich weiß nicht — sie scheint mir kräftiger gebaut, sicher wird sie einmal größer als Iris. Aber auf jeden Fall genauso hübsch!“
„Schau dir Santorin an! Ist er nicht ein Prachtkerl? Jede Wette, daß er für die Zucht genommen wird!“ Simon zeigte zu dem wild über die Koppel galoppierenden Hengstfohlen hinüber.
„Santa Monica hat immer prächtige Fohlen gebracht...“ Bille seufzte tief.
„Was ist los? Was machst du für ein komisches Gesicht?“
„Ach, nichts.“
„Unsinn! Du hast doch was! Das sehe ich dir an der Nasenspitze an!“
„Ich habe nur gerade über etwas nachgedacht.“
„Über was?“
„Über das Abschiednehmen. Im allgemeinen und im besonderen . Daß es großer Mist ist. Jedes Jahr gibt’s das gleiche Drama, Fohlen werden geboren, du verliebst dich in sie, beschäftigst dich mit ihnen — und nach einigen Monaten mußt du dich wieder von ihnen trennen. Und die meisten von ihnen siehst du nicht wieder, du weißt nicht, ob sie’s gut haben oder schlecht, ob sie vielleicht von irgendeinem reichen Knacker gekauft werden, der sich nachher nicht um sie kümmert, oder von jemandem, der nichts von Pferden versteht, der sie falsch behandelt, oder ob sie etwa in einer kleinen Reitschule landen, wo sie völlig überfordert werden.“ Bille wandte sich ab, riß wütend einen Grashalm aus und drehte ihn sich um den Finger. „Ach, es ist einfach zum Heulen.“
Simon legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie sanft zu sich heran.
„Warum bist du plötzlich so schrecklich deprimiert?“ fragte er ein wenig hilflos. „Du solltest eigentlich strahlen! Der erste Ferientag, die Sonne scheint — und wir haben den ganzen Tag für uns!“
„Einen Tag, ja!“ fuhr Bille heftig auf. „Was nützt mir der eine Tag, wenn du die ganzen Ferien über unterwegs bist! Es werden die verdammtesten , einsamsten, ödesten Ferien werden, die ich je hatte!“
Simon schaute sie so betroffen an, daß ihr der Ausbruch sofort leid tat.
„Verzeih mir“, sagte Bille leise und legte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich hab’s nicht so gemeint. Ich — ich meine, ich freue mich natürlich für dich, daß du zum erstenmal richtig auf Turnierreise gehen kannst. Es ist nur leider so, daß du mir sehr fehlen wirst.“
„He! Ihr da! Auseinander! Was ist denn das für ein öffentliches Ärgernis!“ rief Tom von weitem. „Ich muß dich ernsthaft verwarnen, lieber Simon! Du weißt, ich habe Bille als Schwester adoptiert und erlaube nicht, daß jemand an ihr rumfummelt!“
„Ach ne ! Dann nimm du gefälligst sofort deine Pfoten von meiner kleinen Schwester, ja?“ gab Simon lachend zurück. „Sieh mal an, jetzt lächeln unsere trauernden Strohwitwen wieder! Na kommt, es wird Zeit, sonst kriegen wir nichts mehr zu essen.“
Sie kehrten zur Landstraße zurück und erreichten bald darauf die Kreuzung, an der sich ihre Wege trennten. Bille mußte links nach Wedenbruck hinüber, Tom nahm den Feldweg, der geradeaus direkt auf Groß-Willmsdorf, den Gutshof seines Vaters, zuführte. Bettina und Simon bogen rechts in die Straße nach Peershof ein, eine von hohen Birken gesäumte, schmale Allee.
„Was machen wir
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