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Billy Elliot - I will dance

Billy Elliot - I will dance

Titel: Billy Elliot - I will dance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melvin Burgess
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Richtung gegangen war, konnte ich mir vorstellen, wo sie war. Ich war ganz schön alle, als ich dort ankam, aber da war Nan, auf dem Feld unter dem Viadukt. Na bitte. Sie geht immer dorthin, und das ist echt blöd: Dort ist ein Teich, sie könnte reinfallen und ertrinken. Niemand weiß, warum sie dorthin geht – sowieso weiß niemand, warum sie was tut. Wenn man sie fragt, guckt sie einen bloß an. Ich vermute, sie hat als Kind hier gespielt. Sie hat ihr ganzes Leben lang hier gelebt. Achtzig Jahre. Achtzig Jahre. Meine Fresse!
    »Nan!«, brüllte ich. Sie drehte sich um und blickte mich an. Ich schob mich durch das hohe Gras. Es war nass. Die arme Alte, sie war patschnass. Und guckte ganz erschrocken. Das Problem ist nämlich, dass nicht nur wir meistens nicht wissen, was sie tut – sie weiß es selber nicht. Sie erschrickt sich selber mehr als alle anderen. »Deine Eier sind fertig«, sagte ich. »Du bist neu hier«, sagte sie. »Nan, ich bin’s, Billy.« Sie nickte und lächelte vorsichtig.
    Es gibt einen Grund, warum ich mich gerade an den Morgen erinnere: Auf der Brücke, die sich über das Ende des Feldes spannt, hielten drei schwarze Mannschaftswagen und Polizisten stiegen aus. Das war wie eine Szene aus der Fernsehserie Dr. Who – die Wagen spuckten hinten unaufhörlich Polizisten aus, sie krabbelten raus wie Käfer aus Erdritzen. Die Polizisten trugen große Plastikschilde und Schlagstöcke. Wie im Kino sah das aus.
    Nan merkte, dass ich hochguckte, und sie blickte auch dorthin. »Was sind das für welche?«, fragte sie. »Polizisten, Nan. Polizisten.«
    »Mistkerle!« Sie schüttelte drohend die Faust. »Mistkerle!«, schrie sie. Einige guckten zu uns runter, aber wir waren viel zu weit weg von ihnen, sodass sie nichts machten.
    »Sind die wegen uns hier, Billy?«, flüsterte Nan. Sie mag eine verrückte alte Frau sein, meine Nan, aber sie hat schon allerhand erlebt.
    Sie lebte in den Dreißiger Jahren und während des Krieges. Sie kennt sich aus. Sie weiß alles über die Polizei. Sie weiß, auf welcher Seite die steht. »Nicht wegen uns, Nan, uns beide wollen die nicht.«
    »Aber Jackie, deinen Vater? Oder Tony?«, fragte sie. Ich antwortete nicht. Manchmal jagt mir meine Nan mehr Angst ein, wenn sie weiß, was los ist. Ich nahm sie am Arm und führte sie nach Hause.
    Ich suchte mir mit einem Finger die Melodie von »Cosmic Boogie« auf dem Klavier zusammen und dachte an Mam. Tony rannte in der Küche hin und her, stopfte sich Margarinestullen in den Mund und bewunderte seine Pappschilder: »Nicht aufgeben!«, »Thatcher raus!«, »STREIKBRECHER! STREIKBRECHER! STREIKBRECHER!«. Dad wuselte herum, spülte Geschirr, wischte den Boden, stellte die Tassen in den Schrank. Manchmal macht auch Susan – Susan Breitmaul, wie wir sagen – aus unserer Straße ein bisschen was bei uns im Haushalt. Nan saß nebenan auf dem Bett und sang laut mit. Das heißt, auf alle Fälle sang sie, ich meine aber, dass es nicht das war, was ich spielte.
    Mam ist jetzt seit zwei Jahren tot. Ich glaube nicht, dass außer mir noch jemand an sie denkt. Ich vermisse sie, jeden Tag vermisse ich sie. Keiner sieht mir das an, aber es ist so. Ich vermisse sie, wenn ich in den Spiegel gucke, wenn ich die Türen aufmache und von einem Zimmer ins andere gehe oder wenn ich auf dem Klavier klimpere. Ich denke mir, hier, diesen Türknauf hat sie in der Hand gehabt, als sie die Tür öffnete. Auf die Art erinnere ich mich an vieles. Wie sie sich vor dem Spiegel im Flur geschminkt hat, wenn sie es eilig hatte. Unter dem Spiegel steht eine kleine Schachtel, in der sie ihr Zeug aufbewahrte. Da liegt tatsächlich immer noch ein Lippenstift drin. Und die Schachtel riecht noch ein kleines bisschen, wie Mam gerochen hat, aber der Geruch ist abgestanden. Wenn ich in den Spiegel im Flur gucke, ganz lange, überlege ich manchmal: Werde ich ihr Gesicht finden? Ich habe inzwischen schon jahrhundertelang dort reingeguckt und versucht, ihr Gesicht in meinem zu finden. Wenn man sich selber lange genug anstarrt, scheint sich das Gesicht zu verändern, und das macht mir fürchterliche Angst. Erinnern und vermissen ist nicht ganz genau dasselbe, aber beides liegt dicht beieinander, und eins geht nicht ohne das andere.
    Ich habe einen Brief von meiner Mam, den sie mir vor langer Zeit geschrieben hat. Hör zu. »Lieber Billy«.
    Hörst du das? Hörst du die Stimme meiner Mutter? Also.
    »Lieber Billy, ich weiß, dass ich für dich nur eine ferne Erinnerung bin.

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