Bin Ich Schon Erleuchtet
Erinnerung, dass Demütigung ein Teil meiner Yoga-Praxis war. Äh, halt mal, nein. Demut . Demut war meine innere Haltung. Das half, und so übte ich noch mehr, und es half noch mehr. Und bald dämmerte mir, dass meine Knieverletzung womöglich ein größerer Durchbruch war, als jedes Kundalini-Erwachen es hätte sein können. Es mag kitschig klingen, aber man redet doch immer davon, im Hier und Jetzt zu sein, und genau das hat mich meine Kniescheibe gelehrt. Mein neues Mantra lautete: Wo mein Knie ist, da will auch ich sein . Statt mich fortwährend in Gedanken mit diesen Über-Yogis zu vergleichen, fokussierte ich mich auf mein Mantra und brachte mir bei, mich wieder richtig zu konzentrieren. Und als ich den Eindruck hatte, dass ich mein Mantra richtig gut beherrschte, änderte ich den Wortlaut zu: Ich bin ein komplettes Arschloch .
Heute, mit dreiunddreißig, gehe ich manchmal in die Anfängerkurse. Aus zwei Gründen. Erstens – weil ich faul bin. Zweitens – weil Anfängerkurse voll von Leuten sind, die noch nie Yoga gemacht haben, Leuten mit Verletzungen und Leuten wie mir, die aus den Fortgeschrittenenkursen zwischendurch raus müssen, weil die ihnen das Gefühl geben, dass sie fortgeschrittene Yogis sind.
Nicht lange nach meinem Kundalini-Durchbruch begannen Indra und Lou mit der Yoga-Lehrer-Ausbildung. Von da an ging es in unserem Retreat weniger um Meditation als um Pädagogik. Bald würden Lerneinheiten über Anatomie und Philosophie dazukommen, und wir würden üben, wie man die subtile Kinästhesie der Yoga-Stellungen beschreibt. Das bedeutete, dass ich neben einem Kundalini-Durchbruch bald auch noch die Autorität einer Lehrerin hätte, und das war nur ein paar Schritte vom Guru entfernt.
Gleich zu Beginn des Unterrichts für künftige Yoga-Lehrer sprachen Indra und Lou ausführlich über das Ego. Seit meiner Knieverletzung muss ich oft daran denken. Lou sagte, es gäbe einen einfachen Weg, unser Ego im Zaum zu halten: Wir müssten uns nur an unsere eigenen Lehrer erinnern.
Wenn eine Schülerin zu dir kommt und dir für alles dankt, was du für sie getan hast, musst du sagen: »Danke nicht mir, danke meinem Guru.«
Nehmen wir mal an, diese Schülerin sucht ernsthaft nach jemandem, dem sie für ihren spirituellen Fortschritt danken kann. Dann sucht sie deinen Guru, und wenn sie ihn findet, spricht sie ihm ihren Dank aus. Und dein Guru wird ihr zuhören und antworten: »Danke nicht mir, danke meinem Guru.«
Jeder Guru, den deine Schülerin findet, wird dasselbe sagen, bis sie mit einer Zeitmaschine zum allerersten Yogi zurücksaust, der in irgendeiner obskuren Höhle im hintersten Winkel Indiens meditiert, und ihm dankt. Daran erkennt man, dass die eigentliche Kraft von den Übungen und der Lehre ausgeht. Der Lehrer gibt das Wissen nur weiter.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich den Ort meiner Glückseligkeit nie verlassen. Ich hätte meine Kundalini-Erfahrung wie einen Goldpokal poliert und sie für Gäste hervorgeholt, die eine Perle meiner Weisheit erflehen. Und dann hätte ich, nach der Erläuterung einer bestimmten Yoga-Sutra oder Atemtechnik, ihren Dank frohgemut angenommen und gesagt: »Dankt nicht mir. Aber wenn ihr unbedingt wollt – na gut, nur zu. Dankt mir. Dankt mir noch mal. Danke, dass ihr mir gedankt habt.« Und dann hätte ich allen meinen Bekannten eine Mail geschickt und ihnen erzählt, wie inbrünstig man mir gedankt hatte, und falls sie auch mal was erleben wollten, das sie so dankbar machen würde, dann sollten sie sich sputen, die Warteschlange ist lang, und die Tickets gehen weg wie warme Semmeln.
He, in einer konkurrenzorientierten Yoga-Welt muss man doch Selbstmarketing betreiben, oder etwa nicht?
Indra schien mich zu durchschauen – meinen Wunsch, etwas Besonderes zu sein. Die Beste. Selbst heute frage ich mich noch, ob sie mich durchschaut hat, weil sie das von sich selbst kannte, oder weil sie es bei sich eben nicht sehen konnte .
Nach jenem Tag im Wantilan wusste ich nur, dass Indra mich klein halten wollte. Ich merkte nicht, wie mein Ego anschwoll. Ich hatte nicht die Perspektive eines höheren Vogels. Ich saß auf dem unteren Ast, und beim Anblick meiner Lehrerin verdrehten sich meine Gedanken zu einer yogischen Brezel, und mein Bauch grummelte nervös.
Von all dem Kopfzerbrechen bekam ich Magenschmerzen. Ich kochte mir Pfefferminztee und zerbrach mir weiter den Kopf, bis mir übel wurde. Indra war so kalt, so distanziert, so kritisch. Aber sie
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