Bin Ich Schon Erleuchtet
der Haut spüren, wahrscheinlich wechselten sie auch noch amüsierte Blicke. Sie genossen es, keine Frage. Sie konnten es bestimmt kaum erwarten, beim Mittagessen darüber zu tratschen. Wenn ich es recht bedenke, sind sie alle echt unausstehlich.
Indra schwebte in ihren anmutigen, fließenden Yoga-Hosen und dem passenden Tanktop durch den Raum, und ich fühlte mich so richtig abstoßend in meinem verschwitzten, ausgeleierten schwarzen Top und den handgewaschenen schwarzen Hosen, die am Saum und an der Taille schon ein bisschen ausfransen. Gerade ist mir ein Gedanke gekommen. Vielleicht hatte Indra noch nie eine Kundalini-Erfahrung. Vielleicht betrachtet sie mich als Rivalin, weil sie Angst hat, ich könnte eine mächtigere Yogini werden als sie? Vielleicht geht es ihr nur darum, mich unter der Knute zu halten?
Oh Gott, nein. Nein, gütiger Himmel, das ist absurd.
Okay, ich habe ein paar Runden Wechselatmung gemacht und mir eine Tasse Tee gekocht. Ich schaue auf meine Mit-Yogis hinunter, die nacheinander vom Pool hochzockeln, weil die Nachmittagsklasse bald anfängt. Und genau so sollte es sein. Endlich verstehe ich.
Die Sache ist die: Ich habe einen gewaltigen spirituellen Durchbruch erlebt. Also habe ich in gewisser Weise eine Prüfung bestanden und bin auf eine ganz neue Ebene aufgestiegen. Als würde ich in Yoga meinen Doktor machen. Natürlich wird es damit schwieriger. Das ist normal. Wenn mich Indra neuerdings mehr triezt, bedeutet das nicht, dass sie fies ist, eine fiese, intrigante, hinterhältige Schlange.
Ähm.
Nein, oh nein. Es bedeutet nur, dass sie mich zu einer besseren Yogini ausbilden will und ich mein EGO BLABLA ÜBERWINDEN BLABLA UND LOSLÖSUNG PRAKTIZIEREN BLABLA MUSS BLA.
Oder so. Ich geh jetzt ins Bett. Wenn sich jemand die Mühe macht, mich zu wecken, geh ich zum Unterricht. Wenn nicht – auch egal. Ich habe sowieso das Gefühl, dass ich ein Magengeschwür kriege. Vielleicht sollte ich mich einfach krank melden. Ja, wenn wir ein beschissenes Telefon hätten, würde ich genau das tun. Ich würde mich krank melden.
5.
Die Gefangene
Den spirituellen Pfad sinnvoll zu wandern, ist ein sehr sublimes Unterfangen, nichts, das man ganz naiv beginnen kann. Es öffnen sich viele Irrwege, die zu einer verzerrten egozentrischen Version von Spiritualität führen. Wir selbst können uns glauben machen, dass wir uns spirituell entwickelten, während wir in der Tat nur durch spirituelle Techniken unsere Egozentrizität erhöhen.
Chögyam Trungpa, Spirituellen Materialismus durchschneiden
Wenn du etwas über dein Ego erfahren willst, versetze ihm ein paar Schläge. Es wird ordentlich anschwellen und lässt sich dann besser studieren.
Kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag konnte ich sechs Monate lang kein Yoga praktizieren, weil eine Frau in einem Geländewagen meine Kniescheibe erwischt hatte, als ich die Straße überqueren wollte. Monatelang waren meine einzigen Übungen die laschen Beinheber, die mir ein gelangweilter Physiotherapeut für mein lahmes Bein verschrieben hatte. Simultan zu meinen Muskeln verkümmerte meine spirituelle Disziplin. Ich meditierte nicht, sang nicht und las keine Sutras. Und als ich schließlich fand, ich sei wieder gesund genug für einen Yoga-Kurs, stellte ich fest, dass der meditative Aspekt der Stellungen – nach innen schauen, sich auf den Atem konzentrieren – unerreichbar war, solange ich kaum einen Ausfallschritt halten konnte, ohne wie ein geprügelter Hund zu zittern.
Um das klarzustellen: Nicht mal nach Bali, als ich fitter war als je zuvor im Leben, gehörte ich zu den Yogis, die ihr gesamtes Gewicht auf einem Arm balancieren können oder irgendwelche anderen abgefahrenen Varianten beherrschen. Meine Stärke war schon immer die Konzentration. Aber mit einem angeknacksten linken Bein fand ich nicht den Punkt, an dem Bewegung zur Meditation wird.
Während sich die anderen Schüler glückselig zur Kriegerhaltung aufstellten, versuchte ich es mit verschiedenen Spielarten, bis mir mein Gezittere und Gejammere in diesem Kurs voller geschmeidiger, liebreizender Über-Yogis zu peinlich und meinem Ego zu abträglich wurde. Ich kapitulierte und ruhte mich in der Kindhaltung aus, woraufhin der Lehrer, ein bleiches Jüngelchen mit Kifferaugen, auf meine Matte zuschwebte. Er legte die Hand auf meinen schweißnassen Rücken, und ich hob den Kopf.
»Weißt du was?«, schnurrte er lächelnd. »Rate mal. Es ist nur Schmerz.«
»Ähhh …«
»Bedenke, es ist
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