Bindung und Sucht
es zwischen Suchtverhalten des Kindes und Co-Suchtverhalten des Vaters kaum mehr einen Unterschied gab.
Nach dem erfolgreichen Bindungsaufbau mit dem Vater und dem Sohn in der Therapie war es notwendig, besonders den Vater in ein gemeinsames, nicht medienorientiertes Spielen mit dem Kind einzubinden. Dies gelang zunächst nur durch Spielen zu dritt, das heißt Vater und Sohn trafen sich in den Therapiestunden des Kindes mit der Therapeutin zum gemeinsamen Spielen, so dass der Vater ebenfalls »neue feinfühlige Spielerfahrungen« machen konnte, um diese dann auch mit seinem Sohn zu leben – zunächst im Beisein der Therapeutin, später auch im Spiel alleine mit seinem Sohn. Hier war es die »Modellfunktion« bzw. das Vorbild der Therapeutin, was dem Vater zu eigenen neuen emotionalen Spiel- und Interaktionserfahrungen verhalf und ihm darüber auch ermöglichte, sich seinem Sohn differenzierter und feinfühliger zuzuwenden.
Die bindungsorientierte Suchtbehandlung bei Grundschulkindern
Gerade bei Schulkindern im Alter von 6 bis 10 Jahren sehen wir schon exzessive Verhaltensweisen des Medienkonsums. Die schnelle Folge von selbst ausgelösten und gesteuerten Reaktionsfolgen etwa beim Computerspiel vermittelt den Kindern ein Gefühl von hoher Selbstwirksamkeit und führt zu intensiver Stimulation; so werden oft auch starke Gegenreize gesetzt, die dazu dienen, die Wahrnehmung von realen, stressvollen Erfahrungen oder Erlebnissen zu vermeiden. Kinder, die keine guten eigenen Erfahrungen bezüglich der Koregulation von Stress gemacht haben, können feststellen, wie das Sich-Konzentrieren auf ein Computerspiel einerseits zu einer noch stärkeren Stressbelastung führt, wie es dabei andererseits aber durch die kontinuierliche Spielaktivität zu einem Erschöpfungszustandund damit zu einer Beruhigung der Stresssituation bzw. des Stresserlebens kommt. Die schnelle Folge von Reizen beim Fernsehkonsum vermittelt eher ein Gefühl von Passivität denn von Selbstwirksamkeit. Die Reizdichte und der intensive Konsum lenken vermutlich auch von eigenen, nicht zu regulierenden inneren Stressoren ab und führen auch zu einer körperlichen Erschöpfung.
Computerspiele ermöglichen auch eine enorme Explorationsvielfalt und ein Gefühl von Selbsteffektivität; ein Klick auf einen Button und vielfältige Dinge passieren – gerade hier und jetzt, so dass das fehlende Selbstwertgefühl durch solche Erfahrungen der Selbstwirksamkeit teilweise kompensiert wird. Diese Erfahrungen werden aber nicht mehr in der Beziehung gemacht, wo das Kind gleichzeitig die Freude der Eltern über eine gelungene Aktion und den Glanz in ihren Augen wahrnehmen kann und deren Lob und Freude hört, sondern sie sind vielmehr aus der Beziehung herausgelöst und geschehen in großer Einsamkeit, sie sind somit eher an ein Gefühl emotionaler Leere gekoppelt. Wenn das Kind aufhört zu spielen, fällt es daher oft in ein »Loch«, d. h. empfindet emotionale Leere, ist traurig, fühlt sich einsam, verlassen. Es greift daher erneut auf das Computerspiel zurück, um diesen schrecklichen Gefühlen von Einsamkeit und Verlassensein gegensteuern zu können und durch neue Reize diese schmerzlichen Wahrnehmungen nicht oder nicht mehr machen zu müssen.
Auch hier ist eine intensive Arbeit mit den Bezugspersonen notwendig, damit diese ihr Schulkind zu anderen, gemeinsamen Spielen anregen und mit ihm andere »Spielqualitäten« erfahren können. Das Kind kann in einer Kinderspieltherapie zum ersten Mal lernen, wie es möglich ist, innere Ängste, Konflikte und Bedürfnisse im Symbolspiel, etwa dem Sandspiel, oder auch im kreativen Malen und in der Arbeit mit Ton auszudrücken. Die allermeisten Kinder, die mit solchen Problemen in die Therapie kommen, können gar nicht spielen und sind mit den Angebot eines Spielzimmers bei der Kindertherapeutin anfangs überfordert oder reagieren befremdet, weil sie nicht wissen, was sie mit den Spielsachen anfangen sollen. Für viele Kinder eröffnet sich hier bei positivem Verlauf der Behandlung eine komplett neue spielerische Welt, die in der Beziehung zu einer Therapeutin bzw. einem Therapeuten erfahren werden kann – ein Erlebnis, das sich daher im Vergleich zu den bisherigen Spielerfahrungen auf ganz andere Weise verankert.
Therapiebeispiel Petra
Petra ist als Einzelkind aufgewachsen; schon im Kindergartenalter verbrachte sie viele Stunden alleine zu Hause, weil beide Eltern berufstätig waren. Oft kam die Mutter zwischendurch nach Hause
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