Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
und lässt sein Fahrrad ausrollen. »Sie haben nach mir gerufen, Khun?«
Hock Seng steigt ein und deutet in die schmale Gasse. »Ich habe Fahrgäste für dich, wenn du dich beeilst.«
Der Thai wendet ächzend. Die Kette des Fahrrads klackert gemächlich. »Doppelter Fahrpreis. Schnell, schnell!« Er fuchtelt wild in der Luft herum.
Der Fahrer strengt sich nur unwesentlich mehr an. Die Rikscha bewegt sich so schnell wie ein behäbiger Megodont. Vor
ihnen taucht Mai auf. Für einen Moment befürchtet Hock Seng, sie könnte so dumm sein und die Kranken herausschaffen, bevor die Rikscha sie erreicht hat, aber Kit ist nirgendwo zu sehen. Erst als der Fahrer schon abbremst, zerrt sie den ersten halb bewusstlosen Arbeiter auf die Gasse.
Der Rikschafahrer zuckt zusammen, als er den Kranken sieht, aber Hock Seng beugt sich über seine Schulter und zischt: »Dreifacher Fahrpreis.« Er packt Kit und wuchtet ihn auf den Sitz der Rikscha, bevor der Thai protestieren kann. Mai verschwindet wieder in der Fabrik.
Der Rikschafahrer mustert Kit misstrauisch. »Was ist mit ihm?«
»Er ist betrunken«, sagt Hock Seng. »Er und sein Freund. Wenn der Chef sie erwischt, feuert er sie.«
»Der sieht mir nicht aus, als wäre er betrunken.«
»Du irrst dich.«
»Nein. Der sieht aus, als ob …«
Hock Seng starrt den Thai an. »Die Weißhemden werden ihr Netz ebenso über dich werfen wie über mich. Er sitzt in deiner Rikscha und atmet dieselbe Luft wie du.«
Der Fahrer reißt entsetzt die Augen auf. Hock Seng nickt, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Es hat keinen Sinn, sich jetzt zu beschweren. Ich sage, dass sie betrunken sind. Sobald du zurück bist, bekommst du den dreifachen Fahrpreis.«
Mai kommt mit dem zweiten Arbeiter aus der Tür, und Hock Seng hilft ihr, ihn auf den Sitz zu hieven. Mai steigt zu dem Fahrer hinauf. »Krankenhäuser«, sagt Hock Seng und beugt sich dann dicht zu ihr hin. »Aber zwei verschiedene, ja?«
Mai nickt bestimmt.
»Gut. Kluges Mädchen.« Hock Seng tritt zurück. »Na los! Beeilt euch!«
Die Rikscha setzt sich in Bewegung, und zwar deutlich schneller als zuvor. Hock Seng blickt ihr nach. Die Köpfe des
Fahrers und der drei Fahrgäste hüpfen auf und ab, während die Räder über das Pflaster holpern. Er verzieht das Gesicht. Wieder vier! Eine schlechte Zahl, ohne Frage. Er versucht, seine Angst zu unterdrücken, und fragt sich, ob er überhaupt noch in der Lage ist, klar zu denken. Er wird immer mehr zu einem alten Mann, der sich vor seinem eigenen Schatten fürchtet.
Wäre es nicht besser, wenn Mai und Kit und Srimuang im trüben Wasser der Chao Phraya schwimmen würden, Futter für die Rotflossen- Plaa? Wenn sie nur namenlose Körperteile wären, die zwischen den dahinziehenden Leibern hungriger Karpfen langsam untergingen?
Vier. Sz. Der Tod.
Ein Schauder läuft ihm den Rücken hinunter – wenn er sich nur nicht angesteckt hat. Unwillkürlich wischt er sich die Hände an seiner Hose ab. Er muss ein Bad nehmen. Sich mit Chlorbleiche abreiben und hoffen, dass das genügt. Die Rikscha verschwindet mit ihrer verseuchten Fracht hinter der nächsten Häuserecke. Hock Seng geht wieder hinein, zurück in die Fertigungshalle, wo die Fließbänder rattern und die Arbeiter einander ihren morgendlichen Gruß zurufen.
Bitte lass es Zufall sein, betet er. Bitte lass es nicht das Fließband sein.
17
Wie viele Nächte hat er jetzt schon nicht mehr geschlafen? Eine? Zehn? Zehntausend? Jaidee kann sich nicht mehr erinnern. Hellwach bei Mondschein und traumverloren, wenn die Sonne am Himmel stand, ist ihm jegliches Zeitgefühl abhandengekommen, ein Tag folgt auf den anderen, gleichförmig
und bar jeder Hoffnung. Opfergaben und Sühnegebete, die unbeantwortet bleiben. Wahrsager und ihre Prophezeiungen. Generäle und ihre Beteuerungen. Morgen. Ganz bestimmt in drei Tagen. Einiges spricht dafür, dass sie nachgeben, und es gehen Gerüchte um über den Aufenthaltsort einer Frau.
Geduld.
Jai yen.
Kaltes Blut.
Nichts.
Entschuldigungen und Demütigungen in den Zeitungen. Eine Beichte von seiner eigenen Hand. Noch mehr falsche Geständnisse, die von Habgier und Korruption berichten. 200 000 Baht, die er nicht zurückzahlen kann. Leitartikel und Schmähreden in den Flüsterblättern. Von seinen Feinden verbreitete Geschichten, er habe gestohlenes Geld für Huren ausgegeben, für einen privaten Vorrat U-Tex-Reis, den er für seine Familie angelegt hat, falls eine Hungersnot eintritt. Der Tiger war auch nur
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