Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
einer von zahllosen korrupten Weißhemden.
Geldbußen werden auferlegt. Sein ganzer Besitz beschlagnahmt. Sein Haus niedergebrannt, ein Scheiterhaufen, während seine Schwiegermutter laut wehklagt und seine Kinder, längst seines Namens beraubt, mit ausdrucksloser Miene zuschauen.
Laut Beschluss wird er seine Buße nicht in einem nahe gelegenen Kloster ableisten. Stattdessen wird er in die Wälder von Phra Kritipong verbannt, wo die Elfenbeinkäfer das Land in eine Wüste verwandelt haben und neue Versionen der Rostwelke von Burma herüberwehen. In der Einöde soll er über sein Damma nachdenken. Ihm wurden die Augenbrauen abrasiert, und sein Kopf ist kahlgeschoren. Falls er seine Buße überleben sollte, wird er für den Rest seines Lebens im
Süden die Flüchtlingslager der Yellow Cards bewachen: eine Arbeit, die den rangniedrigsten Weißhemden vorbehalten ist.
Und noch immer keine Nachricht von Chaya.
Ist sie am Leben? Ist sie tot? Steckt das Handelsministerium dahinter? Oder jemand anderes? Ein Jao Por, angesichts von Jaidees Dreistigkeit erzürnt? Oder jemand vom Umweltministerium? Bhirombhakdi, der verärgert ist, dass Jaidee sich nicht an die Spielregel gehalten hat? War es eine Geiselnahme oder Mord? Wurde sie getötet, als sie um ihre Freiheit kämpfte? Befindet sie sich noch immer in dem Raum mit den Betonwänden, in dem das Foto aufgenommen wurde, irgendwo in der Stadt, in einem überhitzten Hochhaus, und wartet darauf, dass er sie rettet? Oder liegt ihre Leiche in einer dunklen Gasse, wo Cheshire über sie herfallen? Schwimmt sie vielleicht im Chao Phraya, Futter für die Bodhi-Karpfen Rev 2.3, die das Ministerium mit solchem Erfolg gezüchtet hat? Ihm ist nichts geblieben außer Fragen. Er ruft in den Brunnenschacht hinein, aber kein Echo antwortet ihm.
Und so sitzt er nun im ärmlichen Kuti eines Mönches auf dem Gelände der Tempelanlage von Wat Bowonniwet und wartet auf eine Antwort aus dem Kloster in Phra Kritipong, ob die Mönche dort bereit sind, sich seiner anzunehmen. Er trägt das Weiß eines Novizen. Er wird kein Orange für ihn geben. Niemals. Er ist kein Mönch. Ihm ist eine besondere Buße auferlegt. Sein Blick schweift über die rostigen Wasserflecken an der Wand, den Flaum von Schimmel und Fäulnis.
Auf eine Wand ist ein Bobaum gemalt, unter dem der Buddha sitzt und der Erleuchtung harrt.
Leiden. Alles ist Leiden. Jaidee starrt den Bobaum an. Ein weiteres Relikt der Vergangenheit. Das Ministerium hat ein paar davon künstlich konserviert – einige wenige, die nicht unter dem Ansturm der sich in ihrem Inneren vermehrenden Elfenbeinkäfer zerfallen sind. Die Käfer haben sich in den
verschlungenen Stamm gegraben, dort sind ihre Jungen geschlüpft, und von dort sind sie ausgeschwärmt, immer weiter zum nächsten Opfer …
Alles ist vergänglich. Nicht einmal Bobäume sind da eine Ausnahme.
Jaidee fasst sich an die Brauen, streicht über die blassen Halbmonde über seinen Augen, wo früher Haare wuchsen. Er hat sich noch immer nicht an seinen glattrasierten Kopf gewöhnt. Alles verändert sich. Er starrt zu dem Bobaum und dem Buddha hinauf.
Ich habe geschlafen. Die ganze Zeit über habe ich geschlafen und nichts begriffen.
Doch jetzt, während er den gemalten Bobaum betrachtet, verschiebt sich etwas.
Nichts währt ewig. Ein Kuti ist eine Zelle. Er sitzt in einem Gefängnis, während diejenigen, die Chaya entführt haben, leben und trinken und huren und lachen. Nichts ist von Dauer. Das ist die zentrale Lehre des Buddha. Keine Karriere, keine Institution, keine Ehefrau, kein Baum … Alles ist Veränderung; Veränderung ist die einzige Wahrheit.
Er streckt die Hand nach dem Gemälde aus und fährt die abblätternde Farbe mit dem Finger nach. Ob derjenige, der es gemalt hat, wohl einen lebenden Bobaum vor Augen hatte? Hat er in einer weit zurückliegenden, glücklicheren Zeit gelebt? Oder musste er eine Fotografie verwenden? Eine Kopie von einer Kopie anfertigen?
Wird in tausend Jahren noch irgendjemand wissen, was ein Bobaum war? Werden die Enkel von Niwat und Surat wissen, dass es noch andere Feigenbäume gab, die auch alle längst ausgestorben sind? Werden sie wissen, dass es viele, viele Bäume gab und viele verschiedene Arten von Bäumen? Nicht nur Gates-Teak und transgene PurCal-Bananen, sondern noch viele, viele andere Pflanzen?
Werden sie begreifen, dass wir nicht schnell genug und nicht klug genug waren, um sie alle zu retten? Dass wir uns entscheiden mussten?
Die
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