Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Leben einzuhauchen und sie auf den Märkten Bangkoks feilzubieten.
Anderson gibt die Suche nicht auf und blättert in einem weiteren Buch. Seit seiner Ankunft hat er eine Bibliothek zusammengetragen, die einen Blick in die Geschichte der Stadt der Engel gewährt – Bände, die vor den Kalorienkriegen und Seuchen geschrieben wurden, vor der Kontraktion. Er hat alles geplündert, von den Antiquitätenläden bis hin zu den Trümmern der Expansionshochhäuser. Der Großteil des Papiers aus jener Zeit ist längst verbrannt oder in dem feuchten Tropenklima verrottet, aber er ist trotzdem auf Inseln der Gelehrsamkeit gestoßen, auf Familien, für die Bücher mehr bedeuteten als nur eine Möglichkeit, rasch ein Feuer zu machen. Das angehäufte Wissen säumt nun seine Wände, Band um Band, mit Schimmel bedeckt. Ihn deprimiert das. Es erinnert ihn an Yates – dieser verzweifelte Drang, den Kadaver der Vergangenheit auszugraben und wiederzubeleben.
»Stellen Sie sich doch nur vor!«, hatte Yates geprahlt. »Eine neue Expansion! Luftschiffe, hochmoderne Spannfedern, der Handel im Aufwind …«
Auch Yates hatte Bücher besessen. Verstaubte Schinken, die er in ganz Amerika aus Bibliotheken und Handelsschulen gestohlen hatte, das gering geschätzte Wissen der Vergangenheit – eine bedachtsame Plünderung Alexandrias, an der niemand Anstoß nahm, weil jeder wusste, dass es mit dem globalen Handel vorbei war.
Als Anderson eintraf, waren die Büros von SpringLife mit Büchern vollgestopft gewesen, Yates’ Schreibtisch von ganzen Stapeln eingemauert: Globales Management in der Praxis, Interkultureller Handel, Die asiatische Seele, Die kleinen Tiger Asiens, Zulieferketten und Logistik, Pop-Thai, Die neue globale Ökonomie, Überlegungen zur Auswirkung von Wechselkursen auf Zulieferketten, Die Thai meinen es ernst, Internationaler Wettbewerb und seine Regulierung. Jede nur erdenkliche Information, die irgendetwas mit der alten Expansion zu tun hatte.
In seinen letzten Augenblicken der Verzweiflung hatte Yates auf diese Stapel gedeutet und gesagt: »Aber das können wir doch wiederhaben! Alles!« Und dann war er in Tränen ausgebrochen, und Anderson hatte endlich Mitleid mit ihm gehabt. Yates hatte sein ganzes Leben auf etwas hingearbeitet, das es niemals geben würde.
Anderson blättert rasch ein weiteres Buch durch, überprüft eine uralte Fotografie nach der anderen. Chilis. Ein ganzer Haufen davon, vor einem Fotografen ausgebreitet, der vor langer Zeit gestorben ist. Chilis. Auberginen. Tomaten. Wieder diese ganzen wundervollen Nachtschattengewächse. Wären die nicht gewesen, hätte die Zentrale ihn erst gar nicht nach Thailand geschickt, und dann hätte Yates vielleicht eine Chance gehabt.
Anderson greift nach seinem Päckchen von Hand gerollter Singha-Zigaretten, zündet eine an und lehnt sich zurück. Tief in Gedanken versunken, blickt er dem Rauch der Alten nach. Es amüsiert ihn, dass die Thai inmitten der herrschenden Hungernot die Zeit gefunden haben, die Nikotinabhängigkeit wiederzubeleben. Er fragt sich, ob sich die menschliche Natur denn nie ändern wird.
Die Sonne scheint herab und taucht ihn in grelles Licht. Durch die feuchte Luft und den Dunst von brennendem Dung kann er in der Ferne gerade so das Industriegebiet erkennen;
die in regelmäßigen Abständen errichteten Gebäude dort unterscheiden sich grundlegend von der alten Stadt, einem Gewirr aus Ziegeln und Rostfarbe. Jenseits der Fabriken erhebt sich der Rand des Damms, der es mit seinem gewaltigen Schleusensystem möglich macht, Waren über das Meer zu transportieren. Alles verändert sich. Der globale Handel setzt sich wieder durch. Lieferungen gehen in die ganze Welt. Alles kehrt zurück, auch wenn es nicht leicht ist, vergessene Fertigkeiten neu zu erlernen. Yates hat die Spannfedern geliebt, aber noch mehr liebte er die Vorstellung, der Geschichte der Menschheit neues Leben einzuhauchen.
»Hier hat es nichts zu bedeuten, dass Sie von AgriGen kommen. Sie sind nur einer unter vielen schmierigen Farang- Unternehmern, die das schnelle Geld machen wollen, genauso wie die Jadesucher und die Klippermatrosen. Sie sind hier nicht in Indien, wo Sie nur das Weizenlogo von AgriGen zeigen müssen, um alles in Beschlag zu nehmen, was sie wollen. Die Thai sind keine solchen Feiglinge. Wenn die herausfinden, warum Sie hier sind, schneiden sie Sie in kleine Stücke und schicken Sie als Frischfleisch nach Hause.«
»Sie werden mit dem nächsten Luftschiff das
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